Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 143 of 178<br />
ich nicht eben von mir aus ebenfalls zur Wiederaufnahme des Verfahrens veranlasst, aber eben: ich<br />
empfinde mich ihm gegenüber nicht mehr so glatt im Recht wie damals, ich verurteile meine<br />
damalige Existenz jetzt ja selber. Morgen sehe ich ihn wieder. Es war eigentlich das erste Erwachen<br />
von dir, ich sass ihm gegenüber und fühlte wie unversammelt noch meine Lebensgeister waren; sie<br />
waren noch bei dir,in deinen Armen. Nun rief ich sie zusammen und stellte sie "in Linie".. K. ist ab<br />
1.1.19 bei Kronprinzens (bzw. dann wohl schon "Hohenzollerns") als Hauslehrer angestellt. Er las<br />
mir - erzähl das auch <strong>Eugen</strong> – einen langen Brief des jungen Marcks vor, vom 23.X. (noch ohne<br />
Ahnung von Österreichs Abfall), dessen <strong>Eugen</strong> sich vielleicht auch noch aus Baden = Baden<br />
erinnert; er war damals mirabilia mundi Friburgensis, spielte viel mit Selbstmord, wurde stattdessen<br />
Offizier und ist jetzt mit seinen ca 26 Jahren Hauptmann im Generalstab, edelster Halbgott = Typ,<br />
der sich den Kopf um eine werbende Idee zerbricht, aber eine "werbende" muss es natürlich sein.<br />
Denn er denkt am 23. noch ernsthaft an Fristung des Widerstands ins Frühjahr, um wenigstens das<br />
Bewusstsein zu haben, dem Schicksal keine Gelegenheit entzogen zu haben. An das Volk denkt er<br />
mit diesen Berechnungen immer nur im Zusammenhang der werbenden Idee, als welche er den -<br />
Rechtsfrieden empfiehlt. Von nichts ist die Halbgöttlichkeit so fern als vom Busse tun, und doch<br />
wäre das die einzige "Idee", die jetzt an der Zeit ist. - Praktisch sind ja diese letzten<br />
Widerstandsgedanken, die ja auch in der rechten Presse dieser Tage aufschossen, nun wieder<br />
abgetan, durch Österreichs Abfall, über den ich als Leser der österr. ungar. Zeitungen schon seit<br />
Wochen im klaren war, aber aus deutschen Zeitungen war nichts darüber zu lernen. - Kähler selbst<br />
politisiert stark mit geschichtlichen Vergleichen und also etwas armselig. Er ist ja geborenster<br />
Preusse, und ich musste oft wieder an die grauenhafte Entdeckung denken, welche Menschen allein<br />
an das Reich glauben. Natürlich sagt auch er: "nun werden eben Bücher geschrieben"; aber selbst das<br />
ist schon Unglauben. Vielleicht werden keine Bücher geschrieben - wozu die Parallelen mit "vor 100<br />
Jahren", - vielleicht bricht Deutschland auch "geistig" zusammen - vielleicht versinkt Europa<br />
überhaupt - weder von Germania noch von Europa steht geschrieben, dass sie manent in aeternum.<br />
Aber es ist furchtbar schwer, das zu denken; schon für mich, dem es leicht fällt, leicht fallen müsste,<br />
und für einen Menschen wie Kähler, Urenkel des Königsberger Polizeidirektors Frey aus der<br />
Reformzeit und Enkel eines Preuss. Generals in türkischen Instruktionsdiensten, wohl fast<br />
unmöglich. - Ich habe mir, um ein paar Tage lang nicht DrittenMannabschlagen spielen zu müssen,<br />
mir 4 Tage Schonung geben lassen. Es ist zwar Allerheiligen und Sonntag dabei und ich darf<br />
eigentlich nicht aus der Kaserne heraus, aber es ists mir doch wert.<br />
Dein Franz<br />
31.10.[18]<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, Doris v.Beckerath ist gestorben, du wirst es ja schon wissen. Ich kann dir heute<br />
nicht schreiben. Es bleibt nichts als sich fest zu klammern an das was noch bleibt. Das Leben reisst<br />
einem das Herz in kleinen Stücken aus dem Leib. Bleibe du doch - ich wage kaum zu sagen: mir;<br />
bleibe nur überhaupt; ich kann es mir nicht vorstellen, dass du gingest. Bleibe, bleibe.<br />
November <strong>1918</strong>