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Somit ließe sich das eingeführte Verständnis des Rhythmischen als Distinktion<br />

noch ergänzen um die Kernaussage, dass Distinktion offensichtlich mit Disziplin<br />

einhergeht.<br />

Karl Bücher: Arbeit und Rhythmus<br />

1896 erscheint in Leipzig das Buch »Arbeit und Rhythmus« von Karl Bücher. Bis<br />

1924 in sechs Auflagen nachgedruckt ist es ein zeitgenössisches, populäres und<br />

in seinem Kontext ein breit rezipiertes, einflussreiches Buch. In einem psychologischen,<br />

sozialen, politischen und kulturellen Zusammenhang fällt es in eine<br />

Phase intensiver Auseinandersetzung mit dem Rhythmus in experimenteller<br />

und theoretischer Natur (Golston 1996).<br />

Bücher argumentiert auf der Basis eines teilweise eher ›unterkomplexen‹ Verständnisses<br />

von Ethnologie und Anthropologie und unter zu Hilfenahme teilweise<br />

bürgerlich-nationaler geopolitischer und »rassenbegrifflicher« Argumentationen<br />

für eine enge Verzahnung von Rhythmus und Arbeit. Er begreift<br />

den Rhythmus als dem menschlichen Körper inhärent und damit als Organisationsprinzip<br />

für die (dem Menschen ebenso inhärent innewohnende) Arbeit.<br />

Ausgehend von der Beobachtung »primitiver Naturvölker« und des dort konstatierten<br />

engen Zusammenhangs von Gesang, Tanz und körperlicher Arbeit<br />

formuliert Bücher zum Ende seiner Auseinandersetzung eine Theorie, die den<br />

»Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprinzip« innerhalb des ›sozialen<br />

Evolutionsprozesses‹ der komplexer werdenden Arbeit begreift (Bücher 1924,<br />

458ff).<br />

»Damit hätten wir das auszeichnendste Merkmal des Tanzes, den Rhythmus auch als durchgehende<br />

Eigentümlichkeit primitiver Arbeitsweise erkannt. Zunächst handelt es sich bloß um instinktive<br />

Erregung von Lustgefühlen an einer Stelle, wo der Mensch ihrer am meisten bedarf, um<br />

die Mühe des Arbeitskampfes auf sich zu nehmen« (ebd. 37).<br />

Bücher weiter folgend setzt innerhalb dieses Entwicklungsprozesses eine Transformation<br />

des Metrischen ein. Die »instinktive Erregung« durch den Rhythmus<br />

›intellektualisiert‹ sich – zunächst als Taktgeber für die handwerkliche, dann<br />

für die industrialisierte körperliche Arbeit und schließlich auch für die geistige<br />

Arbeit.<br />

»Man beobachte das Stricken, das Mähen mit der Hand, das Säen, das Heuwenden, das Schneiden<br />

des Korns mit der Sichel, das Umgraben des Bodens mit dem Spaten, das Falzen der Bögen<br />

in einer Buchbinderei, das Ablegen des Satzes in einer Druckerei, das Geldzählen des Kassie-<br />

110<br />

Rhythmus und Arbeit

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