Nohr_Natürlichkeit_Onlineversion
Nohr_Natürlichkeit_Onlineversion
Nohr_Natürlichkeit_Onlineversion
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
die zugewiesenen Positionen annehmen, werden die Adressaten zu Subjekten<br />
des Diskurses (vgl. auch Morris 2007, 436). Das klassische Beispiel hierfür ist<br />
das ›He – Sie da!‹ eines Polizisten, das von einem beliebigen Passanten auf sich<br />
bezogen wird. Das Individuum, welches sich nach einer solchen Anrufung umwendet<br />
wird durch die Anerkennung des Angerufen-Worden- Seins zum Subjekt<br />
der Ideologie (Althusser 1977, 142f.). Das Beispiel muss allerdings dahingehend<br />
präzisiert werden, als Ideologien durch Interpellationen Individuen<br />
permanent und konsequent zu Subjekten überformen: Selbst das ungeborene<br />
Kind muss durch die Interpellation ›Es ist ein Junge!‹ zu einem sexuellen Subjekt<br />
werden, das es immer schon ist (ebd. 144).¯194<br />
Interessant ist im Folgenden der Vorschlag Ted Friedmanns (zit. n. Newmans<br />
2007, 454f), auch Computerspiele als ein solches Konzept der Interpellation zu<br />
begreifen. Ein Computerspiel, so Newman, schafft eine Anrufung ganz besonderer<br />
Natur und formt das Individuum zu einem Subjekt das die ›Aufgabe‹ hat,<br />
einen fremden geistigen Zustand einzunehmen – nämlich: wie ein Computer<br />
zu ›denken‹.<br />
»Wenn Sie ein Simulationsspiel wie Civilization 2 spielen, ist Ihre Perspektive […] nicht die irgendeiner<br />
Figur oder irgendeiner Menge an Figuren, ganz gleich ob Könige, Präsidenten oder<br />
sogar Gott. Die Art, in der Sie lernen zu denken, korrespondiert nicht mit der Art, wie man sich<br />
üblicherweise einen Sinn auf die Welt macht. Die Freuden des Simulationsspiels rühren eher daher,<br />
einen unbekannten, fremden geistigen Zustand einzunehmen: zu lernen, wie ein Computer<br />
zu denken« (ebd., 455).<br />
Natürlich ›denkt‹ ein Computer nicht. Und die Idee Friedmanns zielt auch weniger<br />
auf eine epistemologische Position ab, als vielmehr auf die Idee der Übernahme<br />
einer Perspektive. Die Interpellation des Computers ist eine, die das<br />
Subjekt dazu bringt, sich an die Rationalität und die Unhintergehbarkeit dieser<br />
Rationalität des Formal-Logischen zu adaptieren.In der Auseinandersetzung<br />
mit der Frage, wie Computerspiele es schaffen ›zur Natur‹ zu werden, ist<br />
die Idee der Interpellation möglicherweise ein entscheidender Hinweis darauf,<br />
wie sich die Natur des Gegenstandes definieren lassen könnte. Ähnlich wie in<br />
der Argumentation der Herstellung eines Tauschverhältnisses von Dispositiv<br />
und Subjekt über die Ware der Aufmerksamkeit so wird auch in der Idee des<br />
Computerspiels-als-Interpellation eines deutlich: Die Natur des Gegenstandes<br />
Computerspiel ist keine im Sinne eines herkömmlichen Naturbegriffs, also einer<br />
Konzeption eines Zustandes ›jenseits‹ kultureller Überformung. Die klassische<br />
Dichotomie Natur-Kultur (im Sinne eines Gegensatzpaares von Gegebenem<br />
und Gemachten) ist hier wie an jeder anderen Stelle von Gesellschaft,<br />
Kultur und Geschichte nur eine vorgebliche. Alle beteiligten Prozesse, Gegen-<br />
Das Natürliche<br />
215