Nohr_Natürlichkeit_Onlineversion
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die dezidiert gegen vermutete ideologische oder repressive Bestände im Spiel<br />
gerichtet sind. Solche Formen, die unter dem Oberbegriff des ›alternative (mis)<br />
use‹ verhandelt werden könnten, scheinen zunächst im Sinne eines widerständigen<br />
Handelns effizienter.<br />
Prototypisch sind für ein solches alternative (mis)use beispielsweise der Verweis<br />
auf Spielformen, die sich nicht den dem Spiel inhärenten Anforderungen<br />
von Missionen, Aufgaben, Zielen oder Questen beugen, sondern die<br />
die Spielumgebung als Raum für selbstbestimmte Erfahrungen oder Eindrücke<br />
benutzen. Vor allem an Spielen mit ausufernden Raumkonzepten und einer relativen<br />
narrativen Offenheit wie beispielsweise den Spielen der Grand Theft<br />
Auto-Serie¯189 wird eine Spielform des müßigen Verharrens, des cruisens (vgl.<br />
Mertens 2008) – kurz: des Benjamin´schen ›Flanierens‹ – zu einer solchen alternativen<br />
Handlungspraxis erhoben. Der müßige und den ökonomischen Zeittakten<br />
enthobene Flaneur des Boulevard findet sich nun ins zeitgenössische<br />
Spiel versetzt und wird zum Beobachter (und nicht Handelnden) des Kleinen<br />
und Marginalen.<br />
»Das ›Kolportagephänomen des Raums‹ ist die grundlegende Erfahrung des Flaneurs. […]. Kraft<br />
dieses Phänomens wird simultan was alles nur in diesem Raume potentiell geschehen ist, wahrgenommen.<br />
Der Raum blinzelt den Flaneur an: Nun, was mag sich wohl in mir zugetragen haben?«<br />
(Benjamin 1982, M1a, 3)<br />
Die breiten Handlungsformen und Praktiken, die sich unter dem Oberbegriff<br />
des alternative (mis)use subsumieren lassen, sind jedoch nicht ausschließlich<br />
auf Formen der Bewegung im Raum zu reduzieren. Allerdings sind es fast immer<br />
Formen der Handlung in ›ausufernden‹ Topografien, also in Spielumgebungen,<br />
die durch die quantitativen Möglichkeiten ihres Spielraumes und ihrer<br />
narrativen Konturierung Handlungsmodelle ermöglichen, die sich den dem<br />
Spiel inhärenten Regeln, Siegbedingungen oder vorentworfenen Handlungspositionen<br />
entziehen.<br />
Aber auch dissidente Handlungsformen, die sich vorgeblich gegen die vermachteten<br />
Strukturen und gegen die Regeln von Spielen richten, sind zu nennen. Ob<br />
es jedoch die Versuche sind, in The Sims (2000) und The Sims Online (2002)<br />
McDonald´s-Filialen zu bestreiken, mafiaähnliche Schutzgeldstrukturen einzuführen,<br />
Prostitution zu betreiben oder gleichgeschlechtliche Liebe zu praktizieren,<br />
ob es das Clan-Wesen in World Of Warcraft (2005) und die anhängige<br />
soziale Selbstorganisation der Spieler ist oder ob es das Handeln in Second Life<br />
(2003) als Ganzes ist – diese Formen des Spielens setzen sich immer dem Verdacht<br />
aus, letzten Endes eine gesellschaftlich legitimierte Ideologie durch eine<br />
andere Form der legitimierten Vermachtung zu ersetzen. So kann auch Rie-<br />
208 Transparenz, Naturalisierung