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Nohr_Natürlichkeit_Onlineversion

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Diese Divergenz durchzieht und konturiert meines Erachtens auch das Computerspiel.<br />

Einerseits wird das Spiel wahrgenommen als determiniertes Agieren<br />

innerhalb eines binärlogischen Entscheidungsbaumes, andererseits gehört<br />

der Betrug bzw. das ›kalkulierte taktische Foul‹ inhärent mit in die Konzeption<br />

des Spieles: Internetlisten mit hints, cheatcodes und walkthrough-Anleitungen,<br />

aber auch Hinweise auf die ›schönsten‹ bugs (Programmierfehler) sind wichtiger<br />

Teil der Spielelandschaft.<br />

Offensichtlich ist nun aber, dass diese Möglichkeiten der ›Regelverletzung‹<br />

nicht tatsächlich als eine Art von Dialektik fungieren; der cheatcode ist kein<br />

Außerkraftsetzen der Regel, sondern eine im Spielcode immanent vorhandene<br />

Möglichkeit des Spiels, innerhalb seines prädisponierten Rahmens zu bleiben.<br />

Wer über die Eingabe einer im Internet aufgefundenen Tastenkombination seiner<br />

Spielfigur Unsterblichkeit, unbegrenzten Waffenzugriff, alternative Wege<br />

oder unendliche Ressourcen verschafft, nutzt dezidiert im Spiel selbst mitprogrammierte<br />

Optionen aus und aktiviert weitere Handlungsbäume innerhalb<br />

eines rigiden Codes.¯35 Die eigentliche Regelverletzung führt jedoch eher zum<br />

vollständigen Absturz des Spiels oder zur Zerstörung der Software. Der (verschleierte)<br />

Text-Code des Spiels jedoch ist unhintergehbar. Die institutionalisierte<br />

Bereitstellung von vorgeblichen Regelverstoßmöglichkeiten ist eine zweite<br />

Verschleierung von technischen und vor allem apparativen Ideologemen.<br />

Einschränkend muss hier allerdings darauf verweisen werden, dass es durchaus<br />

Möglichkeiten gibt, sich innerhalb von Spielen ›regelbrechend‹ zu verhalten.<br />

Die Freiheitsgrade aktueller state-of-the-art Spiele ermöglichen dabei<br />

durchaus ein ›aneignendes Medienverhalten‹, so genannte »opposed readings«<br />

(vgl. dazu Hall 1989) der vorgegebenen Spielreglementierung darstellen<br />

(Kapitel 7 wird sich dieser Frage nochmals vertiefend annehmen). So bieten<br />

die immer ›größeren‹ simulierten Räume von Shootern, Rennspielen und survival<br />

games immer stärker die Möglichkeit, ein nicht im Sinne des gameplays<br />

intendiertes Verweilen und Explorieren dieser Räume vorzunehmen, also fast<br />

im Benjamin´schen Sinne zum Flaneur zu werden. Die trickjumping-Szene veranstaltet<br />

in bestimmten Spielen und Spiellevels choreografierte und ›tänzerisch‹<br />

anmutende Inszenierungen. Die machinima-Szene benutzt die Möglichkeit<br />

mancher Spiele zum Aufzeichnen und Speichern eigener Spielzüge oder<br />

das capturen von Spielsequenzen mit externen Programmen, um innerhalb bestehender<br />

Spielszenarien Kurzfilme mit teilweiser grotesker Umcodierung zu<br />

inszenieren.<br />

All dies sind Handlungsweisen, die im weitesten Sinne als ›regelungerechtes‹<br />

Benutzen der codierten Szenarien zu gelten haben – allerdings auch nicht zum<br />

typischen Spielerverhalten zählen. Und es müsste die Frage erlaubt sein, ob<br />

Regeln<br />

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