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"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

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Martin Pfaff<br />

der Gesundheitsreform 2000 ausgeklammert. Obwohl einflussreiche<br />

Stimmen Gegenteiliges behaupten, können Fallpauschalen nur bei<br />

homogenen Krankheitsbildern angewendet werden. Sind die Krankheitsbilder<br />

stark differenziert und von Mensch zu Mensch individualisiert,<br />

ergeben sich automatisch Einschränkungen. Nicht die<br />

Fallpauschalen an sich sind problematisch, sondern deren Berechnung.<br />

Voraussetzung für eine adäquate Berechnung ist eine ausreichende<br />

Zahl von Fällen, die ausschließlich innerhalb eines Aggregats<br />

variieren.<br />

Es existieren Beispiele innerhalb des Gesundheitswesens für zu<br />

hoch angesetzte Fallpauschalen, die zu einer erheblichen Leistungsausweitung<br />

geführt haben. Meist werden Fallpauschalen allerdings<br />

zu niedrig berechnet und verursachen dadurch massive Probleme.<br />

Sind die Fälle nicht homogen und kann demnach keine sinnvolle<br />

Gruppierung vorgenommen werden, sollte man von Fallpauschalen<br />

generell absehen. Preise steuern Verhalten auf der Ebene der Leistungserbringer.<br />

Das ist positiv zu bewerten. Empirische Analysen aus der<br />

Gesundheitsökonomie belegen diesen Zusammenhang im internationalen<br />

Bereich. In Deutschland wird Verhalten der Leistungserbringer<br />

beispielsweise durch Veränderung der relativen Punktzahlen<br />

im EBM, durch die Berechnung der einzelnen Vergütungen im<br />

ambulanten Bereich und durch veränderte Preise im <strong>Kranke</strong>nhausbereich<br />

gesteuert. Betrachtet man dagegen die Wirkung von Preisen<br />

auf das Verhalten der Nachfrage- und Inanspruchnahmeseite, also die<br />

Frage, auf welche Weise sich die Selbstbeteiligung auf die Inanspruchnahme<br />

von Gesundheitsleistungen auswirkt, so werden viele<br />

für sie Erstaunliches feststellen. Eine Reihe von ökonometrischen<br />

Untersuchungen zeigt nämlich, dass die Höhe der Selbstbeteiligung<br />

entgegen den Erwartungen die Nachfrage wenig oder überhaupt<br />

nicht steuert. Warum, das kann aus der Sicht des Wissenschaftlers<br />

beantwortet werden: Die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen<br />

wird durch den nachgefragten Bedarf oder durch den Bedarf,<br />

den der Experte beurteilt, beeinflusst – viel weniger durch den<br />

Preis. So wird beispielsweise eine Touristin bzw. ein Tourist im Ausland<br />

im Fall eines bevorstehenden Blinddarmdurchbruchs durchaus<br />

bereit sein, einen völlig überhöhten Preis für die lebensnotwendige<br />

Operation zu zahlen. Offensichtlich steuert der Preis das<br />

Verhalten, aber entgegen den Aussagen der Marktökonomen. Menschen<br />

reagieren vor allem bei niedrigem Einkommen stärker auf<br />

Zukunft des Gesundheitswesens: Angebotsorientierte<br />

Marktwirtschaft oder bedarfsorientierte Steuerung?<br />

200 201<br />

Preisveränderungen, d.h. die Preiselastizität der Nachfrage nach<br />

Gesundheitsleistungen ist gering, aber umso größer, je geringer das<br />

Einkommen ist. Ignoriert man diesen Effekt, stellt man die soziale<br />

<strong>Kranke</strong>nversicherung grundsätzlich in Frage. Die Selbstbeteiligung<br />

sollte sozial angemessen ausfallen. Eine höhere Selbstbeteiligung führt<br />

nicht automatisch zum gewünschten Ergebnis. Sie existiert beispielsweise<br />

im Bereich des Zahnersatzes und besitzt einen gewissen Einfluss.<br />

Soll jedoch eine höhere Selbstbeteiligung auf das gesamte<br />

medizinische Spektrum ausgedehnt werden, etwa auf die Bereiche<br />

der ambulanten ärztlichen Versorgung oder der <strong>Psychiatrie</strong>, so steht<br />

dies im völligen Widerspruch zur originären Zielsetzung der gesetzlichen<br />

<strong>Kranke</strong>nversicherung. Es sind gerade die <strong>Kranke</strong>n und nicht<br />

die Gesunden, es sind die Arbeitnehmerinnen sowie Arbeitnehmer<br />

und nicht die Arbeitgeber, welche die Selbstbeteiligung bezahlen.<br />

Offensichtlich können Preise nur bedingt die Nachfrage steuern und<br />

besitzen daher einen untergeordneten Stellenwert.<br />

Wahlmöglichkeiten sind ein integraler Bestandteil<br />

einer freiheitlichen Gesellschaft<br />

Wie sind Wahltarife anzuwenden? Wahltarife entsprechen unterschiedlichen<br />

Leistungspaketen. Folglich dürften umfangreiche und<br />

daher teure Leistungspakete eher von finanziell potenten Kundinnen<br />

und Kunden in Anspruch genommen werden, magere Pakete<br />

eher von Kundinnen und Kunden mit begrenztem finanziellen Spielraum.<br />

Dies führt zu einer sozialen Selektion, welche die Grenzen<br />

des Wettbewerbs aufzeigt. Der Wettbewerb zwischen den Kassen<br />

existiert bereits. Ziel muss ein Leistungs-, Service- und Innovationswettbewerb<br />

sein. Das entspricht der Grundintention des Risikostrukturausgleichs<br />

als Element der Wettbewerbsordnung. Ich plädiere<br />

grundsätzlich gegen die Zulassung von Wahlpaketen in einer<br />

sozialen <strong>Kranke</strong>nversicherung. Gesetzt den Fall, das einfachste Paket<br />

erfüllt bereits die Kriterien Notwendigkeit, Angemessenheit und<br />

Wirtschaftlichkeit und andere Pakete enthalten umfangreichere Leistungen,<br />

entsteht dadurch zwar kein großer sozialer Schaden – aber<br />

ein erkennbarer Nutzen für das gesamte Gesundheitswesen ist ebenfalls<br />

nicht vorhanden. Schon heute kann jeder Versicherte, der willens<br />

und in der Lage ist, Wahlleistungen über die PKV zusätzlich zum<br />

Angebot der GKV einkaufen. Es scheint vielmehr das Ziel der For-

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