"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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Klaus Nißle<br />
6. Die meisten Institutsambulanzen arbeiten nicht aufsuchend,<br />
sondern in der herkömmlichen Komm-Struktur (56,3 %) und<br />
unterscheiden sich daher nur durch den Aspekt der Multiprofessionalität<br />
von Nervenärztinnenpraxen.<br />
Auf Grund dieser ernüchternden Ergebnisse wurden im Rahmen<br />
des BMG-Modellprogramms modellhafte Einrichtungen wie in<br />
Kaufbeuren untersucht.<br />
Evaluation des Gerontopsychiatrischen Zentrums<br />
am BKH Kaufbeuren<br />
Das BKH Kaufbeuren liegt im Allgäu in einem traditionell weitläufig<br />
ländlichen Raum, das Einzugsbiet hat sich durch eine Regionalisierung<br />
der <strong>Psychiatrie</strong> in den letzten <strong>Jahre</strong>n auf <strong>25</strong>0.000 Einwohnerinnen<br />
und Einwohner reduziert. Seit 1983 existierte eine<br />
eigene gerontopsychiatrische Abteilung, zunächst bestehend aus fünf<br />
Stationen mit jeweils ca. 30 Betten, eine davon für älter gewordene<br />
Patientinnen und Patienten mit chronifizierten psychiatrischen Erkrankungen,<br />
weitere vier für gerontopsychiatrische Akutpatientinnen<br />
und -patienten. Die Aufnahmestationen waren überfüllte Dementenghettos,<br />
die häufigste Aufnahmediagnose war die einer bereits<br />
weit fortgeschrittenen Demenz mit situativer Desorientiertheit und<br />
Weglaufgefährdung. Viele Patientinnen und Patienten wiesen eine<br />
hohe Co-Morbidität auf und litten an mindestens drei somatischen<br />
Begleiterkrankungen, was die Pflegebedürftigkeit verstärkte. Die<br />
Aufnahmestationen hatten den Charakter eines Siechenlagers. Entsprechend<br />
den Empfehlungen der Expertenkommission wurde Ende<br />
der 80er-<strong>Jahre</strong> begonnen, eine extramurale engere Kooperation mit<br />
komplementären ambulanten, teilstationären und vollstationären<br />
Einrichtungen der Altenhilfe herzustellen, so dass zunehmend Heime<br />
mit betreut wurden. Zudem wurden Konsile in Allgemeinkrankenhäusern<br />
durchgeführt. In den <strong>Jahre</strong>n 1991 bis 1993 intensivierte<br />
sich die Außenorientierung der gerontopsychiatrischen Abteilung.<br />
Es wurde eine Angehörigengruppe initiiert, die von einer Fachschwester<br />
für <strong>Psychiatrie</strong> und einem Sozialpädagogen geleitet wurde.<br />
Kontakte zur regionalen Alzheimergruppe VITA wurden geknüpft<br />
und in 14-tägigem Abstand erfolgten Informationsveranstaltungen<br />
für pflegende Angehörige und professionelle Pflegepersonen. Auf<br />
Verzahnung ärztlicher und pflegerischer Versorgung<br />
von gerontopsychiatrisch Erkrankten<br />
138 139<br />
politischer Ebene wurde die Öffentlichkeit sensibilisiert, was zur<br />
Gründung eines Seniorenbeirates bei der Stadt Kaufbeuren führte.<br />
Der Beirat wurde vom Stadtrat eingesetzt und tagt monatlich. Über<br />
dieses Gremium der Stadt erfolgte eine Aktivierung in der Altenpolitik<br />
(Erstellung eines Altenhilfeplans, Planung altengerechter<br />
betreuter Wohnungen etc.). Von großer Bedeutung war auch die Intensivierung<br />
der extramuralen Tätigkeit durch regelmäßige Supervision<br />
der Alten- und Pflegeheime der Umgebung im Rahmen von<br />
Heimverträgen. Diese Heimverträge dienen in erster Linie der Beratung<br />
und Schulung des dort tätigen Pflegepersonals in gerontopsychiatrischen<br />
Fragestellungen (Pflegeplanung etc.) durch Besprechung<br />
von konkreten Patientinnen- und Patientenfallbeispielen. Sie<br />
implizieren nicht die Therapie der bei den Besprechungen exemplarisch<br />
vorgestellten Bewohnerinnen und Bewohner. Diese erfolgt<br />
vielmehr auf Wunsch der Hausärztin oder der Bewohnerin bzw.<br />
Angehörigen auf Überweisungsschein. Durch diese beratende Tätigkeit<br />
kam es zu einer kontinuierlichen Annäherung und Öffnung<br />
der Alten- und Pflegeheime gegenüber der Gerontopsychiatrie. Die<br />
zunächst augenscheinliche Unsicherheit im Umgang gerade mit<br />
psychisch kranken alten Menschen war rückläufig, Probleme konnten<br />
direkt vor Ort besprochen und psychodynamische Zusammenhänge<br />
aus dem biographischen und sozialen Kontext vergegenwärtigt<br />
werden. Für die Heimbewohnerinnen und -bewohner hatte dies<br />
den Vorteil, dass zur Durchführung der Therapie kein Ortswechsel<br />
in eine fremde Umgebung erfolgen musste (Klinik). Die Pflegeteams<br />
in den Heimen erhielten per Vereinbarungen mit den jeweiligen<br />
Trägern die Möglichkeit, Pflegepraktikas in der gerontopsychiatrischen<br />
Abteilung abzuleisten, was die Kommunikation sowie das<br />
Verständnis gerontopsychiatrischer Krankheitsbilder weiter förderte.<br />
Auf Anfrage wurden auch die Sozialstation und die Nachbarschaftshilfe<br />
sowie die 1991 eingerichtete Tagespflege der Freien<br />
Wohlfahrt bei Bedarf beraten. Trotz der vielfältigen Bemühungen<br />
waren die Zugangszahlen auch in den folgenden Monaten weiter angestiegen.<br />
Daher wurde im <strong>Jahre</strong> 1993 die gerontopsychiatrische<br />
Ambulanz eingerichtet. Diese spezialisierte Ambulanz verstand sich<br />
vorwiegend als aus den Stationen heraus aufsuchend arbeitend, im<br />
Sinne eines gemeindenahen, multiprofessionellen Behandlungsteams.<br />
Über eine Assessment-Unit (Vorschaltambulanz) wurden<br />
durch den ärztlichen Bereichsleiter Aufnahmeindikationen nochmals