"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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Die psychiatrische <strong>Kranke</strong>nbehandlung auf dem Weg<br />
zur Patientinnen- und Patientenorientierung<br />
Peter Auerbach<br />
1. Auf dem Weg zur Patientinnen- und Patientenorientierung – besser<br />
Personenorientierung – sind wir in den letzten <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n gut<br />
voran gekommen. Dabei ist uns bewusst geworden, dass wir<br />
beim Verlassen gewohnter Strukturen – Institutionen – und Rollen<br />
selbst Ängste entwickeln, die wir gern bei anderen deutlich<br />
erkennen. Die von der <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete ausgehenden Impulse<br />
bewirkten eine Vielzahl institutioneller Reformen und das<br />
Entstehen dezentraler außerstationärer Hilfsangebote, ließen<br />
aber für die Entwicklung von <strong>Kranke</strong>nhäusern eine Zweigleisigkeit<br />
zu, die zu wiederholten Kontroversen über »die bessere<br />
psychiatrische Klinik« – Fachkrankenhaus oder psychiatrische<br />
Fachabteilung – führten.<br />
2. Auch die Orientierung am Bedarf für Patientinnen und Patienten,<br />
durch die <strong>Psychiatrie</strong>-Personalverordnung allen psychiatrischen<br />
<strong>Kranke</strong>nhäusern auferlegt, konnte die gelegentliche Hitze<br />
der Diskussion ebenso wenig nachhaltig mindern, wie das beide<br />
Systeme verbindende Primat der Wiedereingliederung. Nach wie<br />
vor ist auf Seite der Träger das Interesse groß, unter Hinweis auf<br />
neue Aufgabenstellungen, Methoden, Zielgruppen oder wirtschaftliche<br />
Zwänge, den Bestand psychiatrischer Institutionen in<br />
institutionszentrierter und nicht patientinnenorientierter Weise zu<br />
sichern. Den bürokratischen Ansätzen wohnt das Risiko inne, dass<br />
sich die Mittel zu Zwecken verselbstständigen.<br />
3. Gleichwohl markierten die Entwicklungen und Veränderungen<br />
der psychiatrischen Versorgung in den letzten Jahrzehnten eine<br />
Vorreiterrolle der <strong>Psychiatrie</strong>. Angesichts sich ankündigender<br />
dramatischer Veränderungen im gesamten Gesundheitswesen ist<br />
es der Reformpsychiatrie allerdings nicht erlaubt, sich auf den<br />
erreichten Rahmenbedingungen in Selbstisolierung auszuruhen.<br />
Die Bemühungen um Gleichstellung treten in eine neue Phase<br />
ein: Es gilt, auf die Anfänge wichtiger Veränderungen im übrigen<br />
Gesundheitswesen kooperativ zu antworten und über eine<br />
Eingliederung der <strong>Psychiatrie</strong> in die Reformdiskussion des gesamten<br />
Gesundheitswesens nachzudenken. Denn hier findet, wie<br />
Die psychiatrische <strong>Kranke</strong>nbehandlung auf dem Weg<br />
zur Patientinnen- und Patientenorientierung<br />
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in der gesamten Gesellschaft, ein Epochenwechsel statt, dessen<br />
Umrisse für das Gesundheitswesen durch Kürzel wie DRG und<br />
KTQ sichtbar werden.<br />
4. Einerseits ist Abschied vom Vertrauten bzw. vom Gewohnten erforderlich,<br />
andererseits werden gerade die Fähigkeiten und Perspektiven<br />
gefordert, die uns vertraut sein sollten. So heißt es in<br />
einem Strategiepapier für die holistische Medizin (HÄNDELER<br />
1999) – Von der Reparaturwerkstatt zur Vorsorgemedizin –, dass<br />
der Kommunikationsqualität in der Medizin ein neuer Stellenwert<br />
zukomme. »Der ernst gemeinte Dialog zwischen Experten<br />
und Laien ist keine Sache von Freundschaft oder gar Herablassung,<br />
sondern Voraussetzung für den Heilerfolg... Das Hauptproblem<br />
in der modernen Medizin wie in der Wirtschaft der Informationsgesellschaft<br />
ist Mangel und Qualität der Kommunikation.<br />
Auch die heutigen ›Experten‹ müssen Berufsegoismus und Fachborniertheit<br />
überwinden, umdenken, vom hohen Ross steigen,<br />
ressortübergreifendes Handeln lernen... Das Streben nach umfassender,<br />
psychosozialer Gesundheit wird die Wirtschaft voran<br />
treiben. Sie wird jene Kräfte frei setzen, die in der Wirtschaft der<br />
Informationsgesellschaft entscheidend sind, wie Kreativität, Motivation,<br />
Zusammenarbeit, Lern- und Einsatzbereitschaft. Für<br />
alles, was unter sozialer Kompetenz zusammengefasst wird, ist<br />
Gesundheit Voraussetzung.« Bezogen auf das <strong>Kranke</strong>nhaus ist ein<br />
»kontinuierlicher Verbesserungsprozess« (DAUB 2000) erforderlich,<br />
der den Mitarbeiter als den eigentlichen Spezialisten zur<br />
Beurteilung seiner eigenen Tätigkeit sieht. Er kenne seine Arbeitsabläufe<br />
am besten und könne sie deshalb auch am ehesten verbessern.<br />
Ideen und Fantasie zählen mehr als Material und Kapital.<br />
Der Erfolgsfaktor verlagert sich von der Maschine zum<br />
Menschen. Routine und starre Strukturen behindern die notwendige<br />
Dynamik.<br />
5. Die psychiatrische <strong>Kranke</strong>nbehandlung der Zukunft wird hoffentlich<br />
aus einer Vielfalt von kommunikativen, kooperativen,<br />
sich selbst organisierenden und optimierenden, sehr basisnahen<br />
und damit patientinnenorientierten Initiativen resultieren. Regionalität,<br />
vielfältige Kooperationsverhältnisse, integrierte Behandlungskonzepte<br />
und anderes mehr werden <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach der<br />
<strong>Psychiatrie</strong>-Enquete eine kreative Unruhe einleiten, in der sich<br />
auch das übrige Gesundheitswesen befindet.