"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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haben, und was ihnen in ihrer momentanen Situation gut tun könnte.<br />
Als Expertinnen und Experten für ihre Situation werden die Betroffenen<br />
selbst gesehen.<br />
Zufluchtsort für <strong>Psychiatrie</strong>betroffene<br />
Das Weglaufhaus ist als ein Ort konzipiert, an dem man sich vor dem<br />
psychiatrisch geprägten Sozial- und Gesundheitssystem sicher fühlen<br />
kann. Man kann hier zur Ruhe kommen, einen eigenen Umgang<br />
mit der Krise herausfinden und erlernen, sich mit Leuten, die Ähnliches<br />
erlebt haben, austauschen und selbstständige Alltagsgestaltung<br />
erproben. Es ist kein Arzt, keine Ärztin und kein Pflegepersonal im<br />
Haus, der Zutritt ist für Psychiaterinnen und Psychiatern verboten.<br />
Das Haus hat wie Frauenhäuser eine geschützte Adresse, sie wird<br />
nirgendwo veröffentlicht. Dies hat eine starke symbolische Kraft, hilft<br />
allerdings nicht gegenüber Ärztinnen und Ärzten, die bei Vorliegen<br />
eines Unterbringungsbeschlusses die Verfügungsgewalt über den<br />
Aufenthaltsort einer Person haben. Die geheim gehaltene Adresse<br />
hilft manchmal sehr gegenüber Amtsbetreuerinnenund -betreuern,<br />
Angehörigen und anderen Bekannten, zu denen Bewohnerinnen und<br />
Bewohnern vorübergehend keinen persönlichen Kontakt wünschen.<br />
Das Weglaufhaus kann jedoch kein sozusagen exterritorialer Raum<br />
in einer psychiatrisch organisierten Welt sein – hier können keine<br />
Zwangsunterbringungen ohne die Zustimmung von Ärztinnen und<br />
Ärzten oder Richterinnen und Richtern aufgehoben werden, und<br />
hier kann nicht absolut garantiert werden, dass Betroffene nicht<br />
wieder in die <strong>Psychiatrie</strong> geraten. Genau gesagt, ist das Weglaufhaus<br />
also ein Ort, an dem es mit besonders weit gefassten Grenzen möglich<br />
ist, verrückte Zustände zu durchleben, ohne den Zugriff der<br />
<strong>Psychiatrie</strong> befürchten zu müssen.<br />
Keine Therapie<br />
Stefan Bräunling Das Berliner Weglaufhaus – ein Angebot zur Ent-Psychiatrisierung<br />
Es handelt sich um eine Kriseneinrichtung und um recht kurzfristige<br />
Aufenthalte in Krisensituationen. Was darüber hinaus gilt: Hier<br />
wird kein therapeutischer Anspruch erhoben, die Hilfe läuft nie nach<br />
einem ohne die betroffene Person aufgestellten Plan ab. Es wird keine<br />
Malgruppe, keine Musiktherapie angeboten, die Hausversammlungen<br />
dienen keinem gruppentherapeutischen Ziel. Es arbeitet<br />
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keine Psychotherapeutin oder -therapeut im Haus. Bewohnerinnen<br />
und Bewohner, die das möchten, nutzen, oft mit unserer Empfehlung,<br />
therapeutische Angebote außerhalb des Weglaufhauses.<br />
Freiwilligkeit und Selbstbestimmung<br />
Im Weglaufhaus halten sich alle Menschen freiwillig auf. Sie haben<br />
sich selbst für den Aufenthalt entschieden, und sie können ihn jederzeit<br />
beenden. Es wird erwartet, dass Aufnahmeinteressentinnen<br />
und -interessenten sich selbst melden, eine reine Vermittlung ohne<br />
ausdrückliche Äußerung des/der Betroffenen führt nicht zur Aufnahme.<br />
(Das Weglaufhaus hat selbstverständlich keinen Vollversorgungsauftrag<br />
zu erfüllen.) Zwangsmaßnahmen werden nicht ausgeübt,<br />
es gibt keine Zwangsmedikation, niemals eine von innen<br />
verschlossene Haustür. Die Hausordnung beinhaltet die für eine<br />
betreute Wohngemeinschaft üblichen Regeln – Gewalt, Gewaltandrohung,<br />
Alkohol- und Drogenkonsum sind im Haus verboten,<br />
gegenseitige Rücksichtnahme ist allgemeine Pflicht. Die einzige<br />
Sanktion, die den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei einem<br />
schwer wiegenden Bruch dieser Regeln zur Verfügung steht, ist das<br />
Beenden des Hausaufenthalts.<br />
Transparenz<br />
Die Bewohnerinnen und Bewohner sollen in jedem Moment die<br />
volle Kenntnis darüber haben, was für sie und mit ihnen getan wird.<br />
Es wird keinerlei Hilfeleistung ohne ausdrücklichen Auftrag ausgeführt,<br />
und alles, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern tun, ist<br />
für die Betroffenen nachvollziehbar und kontrollierbar. Alle Schriftstücke,<br />
die geführt werden, kann die betroffene Person einsehen,<br />
Berichte, die z.B. an Ämter geschickt werden, werden ihr grundsätzlich<br />
vorher vorgelegt und besprochen. Gespräche mit Dritten finden<br />
ohne Zustimmung nicht statt. In Dienstübergaben und Teamsitzungen<br />
können Bewohnerinnen und Bewohner dann, wenn über<br />
sie gesprochen wird, teilnehmen. Das einzige Gremium, von dem<br />
Bewohnerinnen ausgeschlossen sind, ist die Team-Supervision der<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.