27.11.2012 Aufrufe

"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die italienische <strong>Psychiatrie</strong>-Reform über 20 <strong>Jahre</strong> später 1<br />

Lorenzo Burti<br />

Einleitung<br />

1978 führte ein innovatives <strong>Psychiatrie</strong>gesetz fundamentale Veränderungen<br />

des italienischen psychiatrischen Versorgungssystems ein,<br />

indem<br />

� alle Aufnahmen in psychiatrische <strong>Kranke</strong>nhäuser verboten wurden;<br />

� gemeindepsychiatrische Angebote aufgebaut wurden;<br />

� freiwillige Aufnahmen und Zwangsunterbringungen nur in kleinen<br />

Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern zugelassen waren.<br />

Anfänglich wurde von Schwierigkeiten und einer ungleichmäßigen<br />

Umsetzung der Reform berichtet, aber 1984 zeigte eine landesweite<br />

Untersuchung die Entwicklung von stationären und extramuralen<br />

Diensten auf, die über 80 % der italienischen Bevölkerung in ihrer<br />

eigenen Gemeinde zur Verfügung standen. In den folgenden <strong>Jahre</strong>n<br />

wurde in ganz Italien ein umfassendes Netzwerk von stationären und<br />

extramuralen Einrichtungen, Wohnheimen und betreuten Wohnformen<br />

erreicht.<br />

In den letzten <strong>Jahre</strong>n sind die psychiatrischen Angebote durch<br />

die »managed care«-Revolution in Gefahr geraten. Gemeinnützige<br />

Organisationen haben zunehmend das öffentliche System ergänzt,<br />

besonders in den Bereichen der Wohnversorgung, Beschäftigung<br />

(Arbeitskooperativen) und Selbsthilfe.<br />

Das endgültige Aus des psychiatrischen <strong>Kranke</strong>nhauswesens<br />

wurde letztlich 1998 erreicht.<br />

1 Dieser Artikel beruht auf einer Arbeit, die zuerst in »<strong>Psychiatrie</strong> Reform –<br />

The European Perspective and Developments in Germany (<strong>25</strong> Years after<br />

the Enquete)«, Acta Psychiatrica Scandinavica Supplementum No 410,<br />

Volume 104, 2001, veröffentlicht wurde.<br />

Die italienische <strong>Psychiatrie</strong>-Reform über 20 <strong>Jahre</strong> später<br />

Der Weg der <strong>Psychiatrie</strong>-Reform in Italien<br />

320 321<br />

1978 verabschiedete das italienische Parlament ein innovatives <strong>Psychiatrie</strong>gesetz<br />

(Gesetz Nr. 180), das fundamentale Veränderungen<br />

des öffentlichen Versorgungssystems für psychisch <strong>Kranke</strong> einführte<br />

und die Verpflichtung enthielt, sich der traditionellen psychiatrischen<br />

Anstalten zu entledigen und ein landesweites psychiatrisches<br />

System ohne psychiatrische <strong>Kranke</strong>nhäuser aufzubauen. Das Gesetz<br />

Nr. 180 verfügte damit den Wechsel von einer Politik der Aussonderung<br />

und Kontrolle in den Anstalten zu einer Politik der Behandlung<br />

und Rehabilitation im Lebenskontext der Gesellschaft.<br />

Die italienische Tradition der Regelung psychiatrischer Versorgungspraxis<br />

reicht zurück bis ins 18. Jahrhundert, als Vincenzo<br />

Chiarugei (1759 bis 1820) Bestimmungen für das St. Bonifazius-<br />

<strong>Kranke</strong>nhaus in Florenz nach den aufklärerischen Prinzipien des<br />

»moral treatment« entwarf. Mit der Vereinigung des Landes im Jahr<br />

1861 wurde die Schaffung eines nationalen Gesetzes vordringlich.<br />

Allerdings verging eine lange Zeit mit Debatten und erfolglosen<br />

Entwürfen – trotz einer Verschärfung der Probleme psychiatrischer<br />

Versorgung war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der<br />

Tat ein bedeutsamer Anstieg psychiatrischer <strong>Kranke</strong>nhäuser und<br />

ihrer Insassen zu verzeichnen. Erst im Jahr 1904 wurde das Gesetz<br />

Nr. 36 »Verordnung über öffentliche und private psychiatrische<br />

<strong>Kranke</strong>nhäuser« vom Parlament verabschiedet. Danach wurde wiederum<br />

für eine lange Zeit (bis in die 1960er-<strong>Jahre</strong>) keine neue Gesetzesinitiative<br />

ergriffen.<br />

Das Gesetz Nr. 36 bezog sich auf die soziale Kontrolle, nicht<br />

auf die Gesundheit der Patientinnen und Patienten, und betonte die<br />

Vorstellung von Gefährlichkeit. Faktisch waren nur Zwangseinweisungen<br />

zugelassen, was ganz offensichtlich dazu führte, ungefährliche<br />

behandlungsbedürftige Patientinnen und Patienten zu diskriminieren.<br />

Eine 30-tägige Unterbringung wurde durch einen Arzt<br />

beantragt, durch einen Untersuchungsrichter angeordnet und im<br />

Strafregister eingetragen. Kontinuierliche Aufnahmen wurden durch<br />

das Gericht angeordnet und hatten den Verlust der bürgerlichen<br />

Rechte zur Folge. Eine Konsequenz war der Anstieg der Insassen<br />

psychiatrischer <strong>Kranke</strong>nhäuser in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.<br />

Die Kritik am Gesetz Nr. 36 wurde nach dem 2. Weltkrieg<br />

lauter, aber erst 1968, als eine Auswirkung der Enthospitalisierungs-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!