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"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

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Arnd Schwendy Wen hat die <strong>Psychiatrie</strong>-Reform vergessen, verdrängt, verschoben...?<br />

dachlose usw.) sind eine bislang medizinisch, sozialpädogogisch, psychotherapeutisch<br />

und psychiatrisch völlig vernachlässigte Gruppe.<br />

Sie weisen ein besonders hohes Risiko für psychische Erkrankungen,<br />

Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen und Behinderungen<br />

auf. In der Verschränkung von sozialen, wirtschaftlichen und seelischen<br />

Belastungen findet sich bei ihnen ein hohes Ausmaß an Alkoholismus,<br />

Familienzerfall, Delinquenz, Dissozialität und psychischen<br />

Krankheiten. Es muss als Mangel festgestellt werden, dass dem<br />

Problem der sozialen Randgruppen nicht mit dem notwendigen<br />

Einsatz der zur Verfügung stehenden Erkenntnisse, sowie der Beratungs-<br />

und Behandlungsmöglichkeiten von Psychologie, Sozialpädagogik,<br />

Psychotherapie und <strong>Psychiatrie</strong> begegnet wird.« (DTSCH.<br />

BUNDESTAG 1975, S. 14) Zur Abhilfe werden für die sog. Nichtsesshaften<br />

Modellversuche im stationären und ambulanten Bereich<br />

vorgeschlagen. Ferner stieß ich in der Zusammenfassung der<br />

Enquete auf eine Kritik der Beratungssysteme. So schrieben die Experten<br />

zum Thema »nicht-professionelle Beratung«: »Lehrer, Kindergärtnerinnen<br />

und Erzieher, verschiedene juristische Berufsgruppen<br />

sowie Seelsorger stoßen zwangsläufig auf psychische Störungen,<br />

Krankheiten oder Lebenskrisen oder schwere seelische Konflikte.<br />

Sie sind genötigt, Beratungsfunktion auszuüben, auf die sie zumeist<br />

nicht oder nur unzulänglich vorbereitet sind. Die Folge ist: psychische<br />

Störungen werden nicht erkannt; sie bleiben unbeachtet und<br />

es wird in unsachgemäßer Weise auf sie reagiert. Vielfach fehlt es an<br />

Informationen und Möglichkeiten für die Zusammenarbeit mit Beratungsstellen<br />

und psychiatrischen und psychotherapeutischen/psychosomatischen<br />

Diensten« (DTSCH. BUNDESTAG 1975, S. 8). Die<br />

fachliche Beurteilung der professionellen Beratung fiel nicht viel günstiger<br />

aus. So heißt es zu den behördlichen Diensten: »In den Beratungsdiensten<br />

und in der Sozialarbeit der Gesundheits-, Jugend- und<br />

Sozialämter sowie der freigemeinnützigen Träger und Kirchen sind<br />

die Möglichkeiten einer qualifizierten Beratung bei psychischen<br />

Störungen, Krankheiten und Behinderungen vielfach durch Personalstellenmangel,<br />

Mangel an finanziellen Mitteln, Überlastung,<br />

mangelndem selbstständigem Handlungsspielraum und Bürokratisierung<br />

der Arbeit eingeschränkt. Möglichkeiten zur speziellen Weiter-<br />

und Fortbildung fehlen vielfach. Die systematische Kooperation<br />

dieser Dienste untereinander und mit psychiatrischen und psychotherapeutisch-psychosomatischen<br />

Diensten ist fast durchgehend<br />

30 31<br />

unzureichend« (DTSCH. BUNDESTAG 1975, S. 8). Zum Problem der<br />

Migrantinnen und Migranten fand ich in der Zusammenfassung und<br />

auch im Anhang nichts. Warum auch? Der Zustrom von hunderttausenden<br />

von Asylbewerberinnen, Aussiedlerinnen und vor allen<br />

Dingen Bürgerkriegsflüchtlingen und Kontingentflüchtlingen aus<br />

aller Herren Länder begann erst in der Nach-Enquete-Ära. Die<br />

Versorgung der damaligen Gastarbeiter war dank eines trotz Ölkrise<br />

Anfang der 70er-<strong>Jahre</strong> noch weitgehend intakten Arbeitsmarktes<br />

offensichtlich kein nennenswertes Problem.<br />

Versäumnisse und Fortschritte<br />

Nun werden Sie mir sicher, auch ohne dass ich hier als Beleg eine<br />

lange Liste empirischer Untersuchungen anführe, in der Einschätzung<br />

zustimmen, dass die Kompetenzmängel und die Versorgungsdefizite<br />

der oben beschriebenen Personenkreise, seien sie nun Not<br />

leidende Bürgerinnen oder Mitarbeiterinnen von Fachdiensten,<br />

strukturell trotz aller erzielten Erfolge noch immer landauf, landab<br />

bestehen. Ob eine Sozialarbeiterin oder Sozialpädagogin nach Abschluss<br />

ihrer dreijährigen Fachhochschulausbildung und der notwendigen<br />

beruflichen Praktika auch nur den geringsten Schimmer<br />

von Erkennen und Beraten von Menschen mit psychischen Störungen,<br />

Krankheiten oder Behinderungen hat, ist nach wie vor dem<br />

Zufall überlassen. Ob Sachbearbeiterinnen und -arbeiter in kommunalen<br />

Sozialverwaltungen oder bei den Sozialversicherungen<br />

etwas vom Hintergrund dieser Leiden ihrer »Kundinnen und Kunden«<br />

in Bezug auf die Probleme, die sie mit dem Personenkreis haben,<br />

wissen oder nicht, ist ebenfalls dem Zufall überlassen. Als ich<br />

vor kurzem in einem Sozialamt um Verständnis für das merkwürdige<br />

Verhalten eines Sozialhilfeempfängers, der früher in der <strong>Psychiatrie</strong><br />

war, warb, hielt mir die Sachbearbeiterin in aller Unschuld entgegen:<br />

»Es kann ja schon sein, dass der psychisch krank ist, aber er<br />

ist auch ein Psychopath, sehen Sie sich mal dieses Schreiben hier<br />

an.« Den Zusammenhang zwischen dem Krankheitsbild und dem<br />

aus Behördensicht inadäquaten Verhalten hat ihr bislang niemand<br />

erklärt. Es gibt natürlich auch positive Beispiele. Ich nenne nur vier<br />

Bereiche:<br />

� Die Wirtschaft: Hier gibt es einen enormen methodischen und<br />

praktischen Wissenszuwachs im Hinblick auf den psychologisch

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