"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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Sonia Johnson, Martin Zinkler und Stefan Priebe Psychiatrische Gesundheitsversorgung in Großbritannien<br />
standen. Nutzer- und Angehörigengruppen haben oft bemängelt,<br />
dass der psychiatrische Notfalldienst für sie nicht ausreichend zugänglich<br />
sei, besonders außerhalb üblicher Öffnungszeiten.<br />
Nutzer und Betreuer haben oft auch ihren Wunsch zum Ausdruck<br />
gebracht, dass die Behandlung möglichst zu Hause stattfindet.<br />
Smyth und Hoult (19) haben diskutiert, dass der Mangel an<br />
Ressourcen für intensive häusliche Betreuung, wie Kriseninterventionsarbeit,<br />
eine überraschende Lücke in der Versorgungsplanung<br />
in UK darstellte, besonders im Innenstadtbereich, wo gegenwärtig<br />
die Nachfrage für Akutbetten das Angebot oft übertrifft. Die Regierungspolitik<br />
legt jetzt fest, dass Kriseninterventionsteams überall im<br />
Land eingeführt werden sollen, um eine bessere Zugänglichkeit für<br />
Akutbehandlung und häusliche Betreuung zu ermöglichen; 335<br />
solche Teams sollen bis 2003 ihre Arbeit starten.<br />
Das Modell des Kriseninterventionsteams ist jedoch noch nicht<br />
überall als das am meisten geeignete psychiatrische Akutversorgungsinstrumentarium<br />
akzeptiert worden. Es wurde bezüglich der therapeutischen<br />
Kontinuität als störend kritisiert, weil Patienten gerade<br />
in ihrer schwierigsten Situation zu einem anderen Team überwiesen<br />
würden (20). Es wurde auch kritisiert, dass alte Daten genützt<br />
wurden, um die Effektivität dieses Modells zu rechtfertigen, wo doch<br />
die heutigen gemeindenahen Teams im Vergleich zu den ehemaligen<br />
vergleichbaren Diensten gemeindebezogener arbeiteten (21).<br />
Burns bezeichnet dieses Modell als künstlich, da sich eine Verschlechterung<br />
des psychischen Zustands der Patienten im Allgemeinen über<br />
Wochen oder Monate und nicht abrupt entwickeln würde; dies bedeutet,<br />
dass das Ziel einer guten Gemeindepsychiatrie Krisenprävention<br />
und nicht Krisenintervention sein sollte. Die Alternative zum<br />
Kriseninterventionsteam könnte ein erweitertes Gemeindezentrum<br />
für psychische Gesundheit (CMHT) sein, in dem eine bessere Personalausstattung<br />
Krisenarbeit außerhalb üblicher Dienstzeiten und<br />
intensivere häusliche Betreuung ermöglichen würde.<br />
Wie können nicht behandlungsbereite Patienten betreut werden?<br />
Während die üblichen gemeindepsychiatrischen Teams durchaus in<br />
der Lage sind, mit den meisten Patienten eine gute therapeutische<br />
Allianz aufzubauen, gibt es eine kleine Minderheit an Patienten, die<br />
sich nicht behandeln lassen will. Bei dieser Patientengruppe han-<br />
348 349<br />
delt es sich meistens um junge Menschen, die generell ein chaotisches<br />
Leben führen und sozial isoliert sind, außerdem eine forensische<br />
Vorgeschichte haben, möglicherweise Alkohol/Drogen missbrauchen.<br />
Diese Patienten haben oft das Gefühl, dass konventionelle<br />
Dienste und soziale Institutionen für sie nichts anzubieten haben<br />
(22). Sie benötigen in der Regel häufige <strong>Kranke</strong>nhausaufnahmen,<br />
die oft obligatorisch erfolgen. »Assertive outreach teams«, wie sie vor<br />
Kurzem in Islington errichtet wurden, werden jetzt als der am geeigneteste<br />
Weg angesehen, den Bedürfnissen dieser Patienten gerecht<br />
zu werden und einen in der Regel langen <strong>Kranke</strong>nhausaufenthalt<br />
oder eine Verstrickung in Gewalttaten zu verhindern. Viele Orte<br />
haben solche Teams etabliert, und der NHS Plan (2) gibt vor, dass<br />
diese bis 2003 überall in UK eingeführt werden sollen. In Bezug auf<br />
Kriseninterventionsteams allerdings gibt es kontinuierliche Diskussionen<br />
darüber, ob dieses Modell für UK geeignet sei (23). Diese<br />
Debatte konzentriert sich vor allem auf die Ergebnisse der Evaluationsforschung<br />
in UK, nach der es keinen Beweis dafür gibt, dass<br />
Teams mit einer niedrigeren Patientenzahl bezüglich des »Outcomes«<br />
erfolgreicher arbeiteten. Diese Einsicht war mit dem Argument<br />
unterstrichen worden, dass sich die meisten intensiven gemeindepsychiatrischen<br />
Dienste nicht streng an das Modell des »Assertive<br />
Community Treatment« halten, obwohl dieses laut Studien in anderen<br />
Ländern die geeignetere Versorgungsform für schwer zu behandelnde<br />
Patienten ist (24).<br />
Viele nicht behandlungsbereite psychisch <strong>Kranke</strong> leiden gleichzeitig<br />
unter Substanzmissbrauch, daher hat in England die »Doppeldiagnose«<br />
von Substanzmissbrauch und schweren psychischen Erkrankungen<br />
eine besondere Aufmerksamkeit gefunden (<strong>25</strong>).<br />
Zusätzliche Ausbildung im Bereich der Suchttherapie wird in vielen<br />
Versorgungsgebieten als effektive Strategie angeboten, jedoch<br />
bedarf es weiterer Studien, um die beste Behandlungsform von<br />
Dualdiagnosen für die psychiatrischen NHS-Dienste zu entwickeln.<br />
Erfordert eine effektive gemeindepsychiatrische Versorgung<br />
unfreiwillige Patientenbehandlung in der Gemeinde?<br />
Die zunehmende Orientierung auf wohnortnahe Betreuung hat<br />
unter den psychiatrischen Fachleuten eine hitzige Debatte darüber<br />
ausgelöst, ob die medikamentöse Behandlung ohne stationäre Auf-