"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Iris Hölling<br />
� Münztelefone, Schreibpapier, Briefumschläge und Briefmarken,<br />
unzensierte schwarze Bretter, Küchen, Räume für RaucherInnen<br />
und NichtraucherInnen sollten auf allen psychiatrischen Stationen<br />
vorhanden sein;<br />
� PatientInnen sollten die Möglichkeit haben, täglich mindestens<br />
eine Stunde an der frischen Luft spazieren zu gehen;<br />
� für jedes psychiatrische Bett sollte es ein Bett in einem anti- oder<br />
nicht-psychiatrischen Weglaufhaus oder einer vergleichbaren<br />
Einrichtung geben. Jedes zweite psychiatrische Bett sollte in einer<br />
Soteria-ähnlichen Institution sein.« (5)<br />
Die ausführlichen Kommentare und Kritik, die ENUSP und seine<br />
Mitgliedsorganisationen bezogen auf das von einer Arbeitsgruppe<br />
des Steuerungskomitees zu Bioethik (CDBI) des Europäischen Rates<br />
entworfene »Weiße Papier zum Schutz der Menschenrechte und<br />
Würde von Menschen, die an psychischen Störungen leiden, besonders<br />
derer, die in einer psychiatrischen Einrichtung zwangsuntergebracht<br />
sind«, vorgebracht haben, sind ein weiteres Beispiel dafür,<br />
wie ENUSP versucht, Einfluss auf europäische Menschenrechtspolitik<br />
zu nehmen. Als dieses Papier zu Konsultationen veröffentlicht<br />
wurde, haben die verschiedenen Mitgliedsorganisationen es<br />
gründlich diskutiert und Stellungnahmen formuliert, auf die sie ihre<br />
jeweiligen Regierungen aufmerksam machten. ENUSP verabschiedete<br />
ebenfalls eine Stellungnahme zur Kritik an dem Papier und wies<br />
auf dessen Gefahren von Zwangsbehandlung in der Gemeinde und<br />
seine Wirkungen, die die Menschenrechte von <strong>Psychiatrie</strong>-Betroffenen<br />
erheblich verletzen, hin. (Siehe auch: www.enusp.org.) Aus der<br />
Sicht von ENUSP fördert dieses »Weiße Papier« die Stigmatisierung<br />
von <strong>Psychiatrie</strong>-Betroffenen und widerspricht Resolutionen wie den<br />
»Schlussfolgerungen des gemeinsamen Treffens der Weltgesundheits-<br />
Organisation und der Europäischen Kommission ›Balancing Mental<br />
Health Promotion and Mental Health Care‹«. Für ENUSP sind<br />
die Entwicklung »innovativer und umfassender <strong>Psychiatrie</strong>politik in<br />
Konsultation mit allen Beteiligten, einschließlich NutzerInnen und<br />
Angehöriger«, »die Entwicklung von neuen nicht-stigmatisierenden<br />
und Selbsthilfe-Ansätzen«, »die Entwicklung von <strong>Psychiatrie</strong>-Gesetzgebung,<br />
die auf Menschenrechten basiert, die Wahlfreiheit betont<br />
und die Bedeutung von angemessener Vertraulichkeit hervorhebt«<br />
die Kernpunkte dieses Konsensdokuments (6).<br />
Über die Unmöglichkeit der <strong>Psychiatrie</strong>-Betroffenen-Position<br />
Betroffenen-kontrollierte Einrichtungen<br />
260 261<br />
Neben dem Einsatz für die Menschenrechte von <strong>Psychiatrie</strong>-Betroffenen<br />
und dem Engagement für psychiatrische Reformen oder<br />
wesentliche Veränderungen des psychiatrischen Systems war die Verbreitung<br />
von Selbsthilfe und Betroffenen-kontrollierten Einrichtungen<br />
schon immer eine zentrale Forderung der Betroffenen-Bewegung.<br />
Das Berliner Weglaufhaus ist ein aktuelles Beispiel einer<br />
alternativen Einrichtung, die Betroffenen-kontrolliert ist durch das<br />
Vetorecht der <strong>Psychiatrie</strong>-betroffenen Mitglieder des Vereins zum<br />
Schutz vor psychiatrischer Gewalt e.V., dem Träger des Weglaufhauses<br />
(7). Das Weglaufhaus ist eine antipsychiatrische Kriseneinrichtung<br />
für wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte<br />
<strong>Psychiatrie</strong>-Betroffene, die dort für einen begrenzten Zeitraum zusammenleben<br />
können. Sie werden rund um die Uhr individuell<br />
entsprechend ihrer Wünsche und Bedürfnisse bei der Bewältigung<br />
ihrer psychosozialen Schwierigkeiten unterstützt. Das Weglaufhaus<br />
bietet die Möglichkeit, eine Krise oder Verrücktsein ohne psychiatrische<br />
Psychopharmaka und psychiatrische Diagnosen zu durchleben<br />
(das Begleiten von Absetzprozessen ist Bestandteil des Angebots)<br />
und neue Perspektiven für ein Leben außerhalb des (sozial)<br />
psychiatrischen Netzes zu entwickeln. Die Hälfte der MitarbeiterInnen<br />
sind selbst <strong>Psychiatrie</strong>-Betroffene. Die BewohnerInnen<br />
organisieren den Alltag und ihr Zusammenleben selbst und werden<br />
als selbstverantwortlich für ihr eigenes Leben gesehen. Das Weglaufhaus<br />
arbeitet seit fast sechs <strong>Jahre</strong>n erfolgreich und über 300 BewohnerInnen<br />
haben dieses Angebot bereits in Anspruch genommen(8).<br />
In Helsingborg in Schweden bietet das Hotel Magnus Stenbock,<br />
das von der Betroffenen-Organisation RSMH betrieben wird, <strong>Psychiatrie</strong>-Betroffenen<br />
die Möglichkeit, in ihren eigenen Apartments zu<br />
leben und selbst zu entscheiden, ob sie mit den MitarbeiterInnen<br />
oder anderen BewohnerInnen sprechen möchten oder nicht. Es wird<br />
von der schwedischen Regierung finanziert und vollständig von<br />
Betroffenen betrieben.<br />
In Deutschland bestehen ebenso wie in vielen anderen Ländern<br />
bundesweit zahlreiche Selbsthilfegruppen, die einen wichtigen Beitrag<br />
zum Empowerment <strong>Psychiatrie</strong>-Betroffener leisten. Darüber<br />
hinaus planen die nationale Betroffenenorganisation BPE und der