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"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

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Karin Bell<br />

des persönlichen Umgangs mit Krankheit. Das Erleiden von Krankheit<br />

als psychologische Dimension mit unterschiedlichen Erfahrungen<br />

von Ohnmacht und Verlust, Anlehnungsbedürfnis, Abhängigkeit,<br />

Vertrauen, Misstrauen, Angst, Wut und schließlich die<br />

Meisterung dieser Emotionen muss berücksichtigt und den Patientinnen<br />

und Patienten bei ihrer Verarbeitung geholfen werden. In einem<br />

erweiterten Sinne berücksichtigt eine psychosomatische Perspektive<br />

auch unterschiedliche Lebensstile, die zur Entstehung von<br />

Krankheit beitragen und psychoedukative Maßnahmen erfordern,<br />

wie z.B. Rauchen, Übergewicht, mangelnde Bewegung, falsche Ernährung,<br />

ungeschützten Geschlechtsverkehr, übermäßiges Sonnenbaden<br />

oder risikoreiches Verhalten im Straßenverkehr. Schließlich<br />

gibt es Untersuchungen über bestimmte genetisch verankerte oder<br />

lebensgeschichtlich entstandene Persönlichkeitszüge, die zur Entstehung<br />

von Krankheiten beitragen. Als Beispiel sei der Einfluss des<br />

Typs A bei der Entstehung der koronaren Herzkrankheit genannt.<br />

Die Berücksichtigung dieser Faktoren macht eine so verstandene<br />

Psychosomatik zu einem integralen Bestandteil der somatischen<br />

Medizin. In der amerikanischen <strong>Psychiatrie</strong> wird unter einer psychosomatischen<br />

Zugangsweise im Wesentlichen ein psychiatrischer<br />

Konsiliar- und Liaison-Dienst verstanden, der sich mit psychologischen<br />

Faktoren, die somatische Krankheiten beeinflussen, beschäftigt.<br />

Dabei spielen die folgenden Faktoren eine Rolle:<br />

� Physiologische Reaktionen auf psychologische und verhaltensbedingte<br />

Faktoren;<br />

� Biologische Regulationsmechanismen, die mit verhaltensbedingten<br />

und psychologischen Faktoren gekoppelt sind;<br />

� Auswirkungen der Komorbidität von psychiatrischen und somatischen<br />

Krankheiten;<br />

� Risikofaktoren für Krankheit und Verletzung.<br />

Die Zugangsweise ist deskriptiv und orientiert sich vornehmlich an<br />

den diagnostischen Kriterien des DSM IV: Vorliegen einer somatischen<br />

Erkrankung und Nachweis psychologischer Faktoren, die diese<br />

Erkrankung ungünstig beeinflussen, z.B. seelische Erkrankungen<br />

nach Achse I, psychologische Symptome wie depressive oder Angstzustände,<br />

Persönlichkeitszüge, Risikoverhalten, der Einfluss von<br />

Stress oder allgemeine kulturell, religiös oder interpersonell verursachte<br />

Faktoren. Anhand epidemiologischer Studien wird der Ein-<br />

Das dreigliedrige System der psychosomatischen Versorgung<br />

126 127<br />

fluss psychosozialer Faktoren auf die Entstehung und Krankheitsentwicklung<br />

und Krankheitsverarbeitung von Krebs (z.B. Brustkrebs,<br />

Melanom), Stoffwechselerkrankungen (z.B. Diabetes, Basedow,<br />

Cushing), Hautkrankheiten (z.B. Psoriasis, Neurodermitis,<br />

Urticaria), Kreislauferkrankungen (z.B. KHK, Hypertonie), rheumatischen<br />

Erkrankungen (z.B. PCP, Fibromyalgie-Syndrom), Lungenkrankheiten<br />

( z.B. Asthma), gastroenterologischen Krankheiten<br />

(z.B. Ulcus, Reizdarmsyndrom) und bei terminalen Nierenkrankheiten<br />

untersucht. In diesem Krankheitsspektrum finden sich die<br />

von Alexander beschriebenen psychosomatischen Krankheiten im<br />

engeren Sinne wieder, allerdings ohne die von Alexander vorgenommene<br />

Zuordnung zu spezifischen Konflikten sondern im Sinne einer<br />

multifaktoriellen Betrachtungsweise. Der therapeutische Zugang<br />

ist pragmatisch und eklektisch: Neben fakultativ einzusetzende psychopharmakologische<br />

Behandlung treten stützende Maßnahmen<br />

wie Aufklärung, Beruhigung und Suggestion. Eine so verstandene<br />

Psychosomatik versteht sich als zusätzlicher, im Wesentlichen deskriptiv<br />

orientierter psychiatrischer Zugang zur somatischen Medizin.<br />

Im Gegensatz dazu hat sich in Deutschland die Psychosomatik<br />

zu einem eigenständigen Gebiet entwickelt, das auf eine Reihe von<br />

Grundlagenwissenschaften zurückgreift. Das bedeutet, dass sie sich<br />

nicht nur auf die Weiterentwicklung psychotherapeutischer Praxis<br />

stützt, sondern auf eine eigene Ätiologie.<br />

Diese umfasst<br />

� psychodynamische Theorien,<br />

� lernpsychologische Theorien,<br />

� systemische und familiendynamische Theorien,<br />

� ethnologische und psychoanalytische Bindungstherorien,<br />

� neurobiologische Konzepte der Psychoendokrinologie, Psychoimmunulogie<br />

und Psychophysiologie,<br />

� Konzepte der Krankheitsverarbeitung im Sinne des Coping-Modells,<br />

besonders bei somatopsychischen Erkrankungen (zitiert<br />

nach JANSSEN1999).<br />

Auf der Grundlage dieser ätiologischen Modelle wurden spezifische<br />

diagnostische und therapeutische Instrumente entwickelt, die eine<br />

integrative Behandlung der zu Grunde liegenden gestörten seelischen<br />

und körperlichen Strukturen anstreben und somit über eine<br />

reine Symptombehandlung hinausgehen. Zur Anwendung kommen

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