"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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Michael von Cranach<br />
ge auf sich warten. Kurz darauf veröffentlichte der ARBEITSKREIS<br />
DER CHEFÄRZTE UND CHEFÄRZTINNEN VON KLINIKEN FÜR PSY-<br />
CHIATRIE UND PSYCHOTHERAPIE AN ALLGEMEINKRANKENHÄUSERN<br />
(2000) in der Bundesrepublik Deutschland ein eigenes Positionspapier<br />
mit dem Titel »Perspektiven der <strong>Kranke</strong>nhauspsychiatrie«. In<br />
diesem Papier formuliert der Arbeitskreis folgenden Ausblick:<br />
1. Die grundsätzliche und einstufige Reintegration der <strong>Psychiatrie</strong><br />
in die allgemeine Medizin<br />
2. Die noch stärkere Integration der Klinik in das regionale Versorgungsnetz<br />
(»Die psychiatrische Klinik selbst gerät dabei an<br />
den Rand des Geschehens, sie wird <strong>Teil</strong> eines gemeindepsychiatrischen<br />
Verbundes und verliert ihre dominierende Stellung<br />
in der Versorgung.«)<br />
3. Die Vormachtstellung der ambulanten und personenbezogenen<br />
Behandlung.<br />
Sie schreiben wörtlich »Es ist selbstverständlich, dass in einer Übergangszeit<br />
und so lange noch psychiatrische Fachkrankenhäuser existieren,<br />
regionale Absprachen zwischen Fachabteilungen und Fachkrankenhaus<br />
bezüglich der Behandlung einzelner Patienten getroffen<br />
werden können.«<br />
Dieses Positionspapier bekommt durch zwei Dinge eine besondere<br />
Bedeutung:<br />
1. Es führt zum ersten Mal alle in der Vergangenheit vereinzelt aufgeführten<br />
fachlichen Argumente auf.<br />
2. Das Papier nennt, auch hier zum ersten Mal, systematisch eine<br />
ganze Reihe von Faktoren, die diese Diskussion beeinflussen und<br />
nicht professioneller Natur sind.<br />
Auf diese professionellen und nichtprofessionellen Argumente gehe<br />
ich später ausführlich ein. Dieses Positionspapier löste eine erstaunlich<br />
emotionale Reaktion der Bundesdirektorenkonferenz hervor. Ich<br />
zitiere: Ȁrgerlich ist aber die Tendenz des Papiers, in polemischem<br />
Ton einen Antagonismus Fachkrankenabteilung am Allgemeinkrankenhaus<br />
aufzubauen und abstruse Schlüsse zu ziehen. Die kleine<br />
regionale Abteilung wird als Hauptverbandsplatz bezeichnet. Wir sehen<br />
keinen Vorteil in einer ausschließlich kleinräumig organisierten<br />
Barfußpsychiatrie.« Liest man über diese emotionale Äußerung hinweg,<br />
so lässt sich jedoch feststellen, dass fast alle Argumente der Ab-<br />
Vom Streit um Spezialisierung und Regionalisierung<br />
18 19<br />
teilungen von den Fachkrankenhäusern anerkannt werden bis auf<br />
das eine: »Hier ergibt sich der einzig ernst zu nehmende fachliche<br />
Dissens: Das Prinzip der inneren Differenzierung und Spezialisierung<br />
stationärer und teilstationärer psychiatrischer Versorgung. Dieses<br />
Argument ist für die Fachkrankenhäuser das tragende Argument<br />
zur Forderung nach einer zweistufigen Grund- und Schwerpunktversorgung<br />
in Abteilung bzw. Fachkrankenhaus.« (WEIG, WOLFERS-<br />
DORF 2000) Das zur Geschichte.<br />
Die Kontroverse: Fachliche Argumente<br />
Wenden wir uns jetzt den Argumenten zu, die die Kontrahenten der<br />
Kontroverse hervorbringen. Am deutlichsten haben die Abteilungsleiter<br />
und –leiterinnen ihre Argumente in ihrem Positionspapier dargestellt.<br />
Die Patientin, die durch die selbe Türe wie der körperlich<br />
kranke Mensch das <strong>Kranke</strong>nhaus betritt, fühle sich und werde weniger<br />
stigmatisiert als die, die ins psychiatrische Fachkrankenhaus<br />
geht. Die vollversorgende Abteilung mit einem überschaubaren<br />
Pflichtversorgungsgebiet schafft mehr Gemeindenähe. Dies wiederum<br />
führt zu einer verbesserten Inanspruchnahme durch die schnelle<br />
Erreichbarkeit, zu einer verbesserten Kontinuität der Behandlung<br />
sowie zu einem rascheren Aufbau und einer verbesserten Koordination<br />
der extramuralen Infrastruktur. <strong>Psychisch</strong> <strong>Kranke</strong> sind häufig<br />
multimorbid erkrankt, die Nähe zu den somatischen Disziplinen<br />
verbessert ihre Behandlungsmöglichkeiten. Aus dem alten Konsiliardienst<br />
entsteht ein intensiver Liaisondienst. Chronisch <strong>Kranke</strong><br />
können gezielter und individualisierender gemeindenah betreut<br />
werden. Durch die Anbindung an das somatische <strong>Kranke</strong>nhaus ist<br />
die wirtschaftliche Existenzfähigkeit gesichert und die Form der<br />
<strong>Kranke</strong>nhausbehandlung als solche ökonomischer als die Behandlung<br />
im Fachkrankenhaus, wie die Berliner Untersuchung von<br />
SCHEYTT, KAISER, PRIEBE (1996) zeigt. Die Liegezeiten sind kürzer,<br />
die Verwirklichung des personenzentrierten Ansatzes leichter zu<br />
erreichen. Die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Mitarbeiterinnen<br />
und -mitarbeiter, der Klinikleiterin und des Klinikleiters bis zu<br />
allen Berufsgruppen, verändere sich, kollegiale Anerkennung und<br />
Kontrolle verändern das psychiatrische Handeln. So weit die Argumente<br />
der Abteilungsbefürworter. Die Befürworter des Fachkrankenhauses<br />
leugnen die Kraft dieser Argumente keineswegs, stellen