"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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Quotiertes Team<br />
Stefan Bräunling<br />
Obwohl dieses Projekt der Betroffenenbewegung entstammt, ist es<br />
kein reines Betroffenenprojekt. Stattdessen gibt es die Quotierung:<br />
Mindestens die Hälfte der Teammitglieder sind <strong>Psychiatrie</strong>-Betroffene,<br />
also als Patientinnen und Patienten stationär in der <strong>Psychiatrie</strong><br />
gewesen. Das Team ist hierarchiefrei organisiert, alle Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter machen in etwa die gleiche Arbeit. Eine<br />
Frauenquote ist ebenfalls festgeschrieben, sie wird immer übererfüllt.<br />
Das Team ist multidisziplinär zusammengesetzt, es arbeiten<br />
nicht nur Menschen mit einer Ausbildung im sozialen Bereich mit.<br />
Das zentrale Kriterium zur Einstellung ist, existenzielle Krisen selbst<br />
erlebt und reflektiert und (dabei) eine antipsychiatrische Grundhaltung<br />
gewonnen zu haben. Im Trägerverein, in dem es keine Quote<br />
gibt, hat die Mehrheit der psychiatriebetroffenen Mitglieder ein<br />
Vetorecht. Das Weglaufhaus und sein Trägerverein grenzen sich auch<br />
von der reformierten sozialpsychiatrischen Versorgung <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> nach<br />
der Formulierung der Ziele der <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete bewusst ab.<br />
Unser Ziel ist die wirkliche Herausnahme des verrückten Erlebens<br />
und des Hilfebedarfs hiervon betroffener Menschen aus dem medizinischen<br />
Kontext. An Stelle einer sozialmedizinischen Versorgung<br />
»psychisch <strong>Kranke</strong>r« bietet dieses Projekt seinen Bewohnerinnen und<br />
Bewohnern die Möglichkeit, sich jeweils neue Wege in der Bewältigung<br />
tief greifender sozialer und psychischer Krisen zu erschließen<br />
und einen eigenen Umgang mit ihrer Verrücktheit zu erproben. Viele<br />
Betroffene nehmen das Angebot der neuen sozialpsychiatrischen<br />
Versorgung nicht oder nur widerwillig wahr. Sie bevorzugen die<br />
Angebote der Wohnungslosenhilfe, welche eine Hilfe jenseits des<br />
»psychiatrischen Blicks« ermöglichen, von der psychiatriebetroffene<br />
Menschen jedoch häufig überfordert sind. Im Weglaufhaus ist nun<br />
wiederum deutlich der Mangel festzustellen, dass es keine vom<br />
Ansatz her verwandte Alternative gibt, kein »Weglaufhaus auf dem<br />
Lande«, keine antipsychiatrische Kriseneinrichtung nur für Frauen,<br />
kein antipsychiatrisches Wohnprojekt für die Zeit danach, keine Beratungsstelle,<br />
bisher – aber das ändert sich in Berlin glücklicherweise<br />
in Kürze – keine ausdrücklich nichtpsychiatrische Einzelfallhilfe.<br />
Im Sinne der Vielzahl von Betroffenen, die eine Alternative zur psychiatrischen<br />
Versorgung suchen, erscheint deshalb ein Ausbau von dem<br />
Weglaufhaus verwandten Projekten als notwendig.<br />
Rheinische Kliniken Bedburg-Hau: Enthospitalisierung<br />
und die Zukunft der Langzeitbereiche<br />
Elmar Spancken<br />
Zusammenfassung<br />
110 111<br />
Es wird über ein umfangreiches Enthospitalisierungsprojekt der<br />
Rheinischen Kliniken Bedburg-Hau berichtet, das die Verbesserung<br />
der Lebensqualität von 900 Langzeitpatientinnen und -patienten<br />
zum Ziel hatte. Ca. 340 neue Plätze in gemeindeintegrierten Wohnformen<br />
wurden geschaffen, teils über Freie Träger, teils als dezentrale<br />
Dependancen der Klinik. Parallel dazu wurden aber 81 schwer<br />
gestörte chronisch <strong>Kranke</strong>, trotz strenger Indikationsstellung, aus<br />
den Akutbereichen und der Forensik neu auf Reha-Stationen aufgenommen.<br />
Es wird die Auffassung vertreten, dass im Spektrum<br />
einer gemeindenahen Versorgungsstruktur die Reha-Bereiche an<br />
Psychiatrischen Kliniken auch zukünftig eine wichtige Funktion behalten.<br />
Sie können ein spezifisches Milieu bereitstellen und sehr individuelle<br />
Entwicklungen ermöglichen für jene »schwierigen Menschen«,<br />
die zwischen <strong>Kranke</strong>nhaus und »Gemeinde« ihren Platz noch<br />
nicht gefunden haben.<br />
Ein Rückblick<br />
Die Mehrzahl der Rheinischen Kliniken geht noch auf die 200 <strong>Jahre</strong><br />
alte Tradition der Anstalten zurück. Zu Zeiten ihrer Gründung<br />
lag ihnen eine nicht inhumane Idee im Hinblick auf die chronisch<br />
<strong>Kranke</strong>n zugrunde. Zum Beispiel heißt es in einer Gründungsschrift:<br />
Der Zweck einer Irrenanstalt ist doppelt<br />
� die von der Geistesverwirrung Betroffenen womöglich zu heilen<br />
und<br />
� die Unheilbaren weiterhin in eine solche Lage zu versetzen, dass<br />
sie mit den ihnen noch übrigen Geistes- und Körperkräften so<br />
glücklich leben können, als es ihre Krankheit und ihre Umstände<br />
erlauben.