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"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

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Suchtkrankenhilfe und Primärversorgung –<br />

Zur Versorgung chronisch mehrfach<br />

beeinträchtigter Abhängigkeitskranker<br />

Eckhard Sundermann<br />

Schon vor <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n hob die <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete als besonders<br />

unterversorgte Gruppe die Suchtkranken hervor und auch heute<br />

noch ist festzuhalten, dass die Versorgung von chronisch mehrfach<br />

beeinträchtigten Abhängigkeitskranken meilenweit hinter der inzwischen<br />

wesentlich verbesserten Versorgung chronisch psychisch <strong>Kranke</strong>r<br />

hinterherhinkt. Betroffen davon sind ca. 400.000 Bürgerinnen<br />

und Bürger, von denen jährlich 18.000–20.000 an ihrer Suchterkrankung<br />

sterben.<br />

Es handelt sich dabei um Menschen, die gekennzeichnet sind<br />

durch massive körperliche, seelische und soziale Beeinträchtigungen,<br />

»unattraktive«, wenig motivierte, ihre eigenen Rechte kaum<br />

wahrnehmende, rückfallgefährdete bzw. – erprobte, isoliert lebende,<br />

häufig verwahrloste, oft auch wohnungslose, »multiproblembehaftete«<br />

Menschen.<br />

Es gibt Gründe für die extrem schlecht entwickelte Versorgungsstruktur:<br />

Die Suchtkrankenhilfe hat die wesentlichen Ideen der <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete<br />

zumindest in den ersten 10–15 <strong>Jahre</strong>n nicht oder nur<br />

ganz sporadisch aufgenommen. Konzepte gemeindenaher oder<br />

gemeindebezogener Versorgungsstrukturen, die Diskussion über<br />

Pflichtversorgung, Gehstruktur oder multiprofessionelle Teams –<br />

handlungsleitende Schlagworte in der Allgemeinpsychiatrie – sind<br />

der Suchtkrankenhilfe unvertraut gewesen. Sie hat sich stattdessen<br />

auf die Entwicklung fachlich hoch qualifizierter und effektiver therapeutischer<br />

und rehabilitativer Verfahren beschränkt. Dies war sicherlich<br />

auch notwendig, aber in dieser Ausschließlichkeit fast fatal.<br />

Das alles dominierende Abstinenzparadigma in der Suchtkrankenhilfe<br />

hat den Blick verengt. Die Nichtmotivierten, also die Mehrheit<br />

der Abhängigen, wurde nicht oder nur unzureichend wahrgenommen<br />

und damit ausgegrenzt.<br />

Die institutions-, zielgruppen- bzw. problembezogene Organisation<br />

von Hilfen im medizinischen und psychosozialen Hilfesystem<br />

hat die notwendige ganzheitliche, umfassende Wahrnehmung chro-<br />

Zur Versorgung chronisch mehrfach beeinträchtigter Abhängigkeitskranker<br />

190 191<br />

nisch mehrfachbeeinträchtigter Menschen und die daraus folgenden<br />

notwendigen, auf einander abgestimmten Hilfen verhindert.<br />

Eine politische Diskussion mit dem Ziel der Verantwortungsübernahme<br />

der Politik für die Daseinsvorsorge auch ihrer suchtkranken<br />

Bürgerinnen und Bürger und das Reklamieren dafür notwendiger<br />

Finanzmittel hat so gut wie nicht stattgefunden.<br />

In den letzten zehn <strong>Jahre</strong>n ist allerdings durch die Thematisierung<br />

der sog. »vergessenen Mehrheit« Bewegung in die Suchtkrankenhilfe<br />

gekommen. Erste Schritte sind gemacht. Entsprechende<br />

Konzepte sind erarbeitet und modellhaft erprobt worden.<br />

Notwendigkeiten und Ziele der Versorgung chronisch mehrfachgeschädigter<br />

Abhängigkeitskranker können nun benannt werden.<br />

Die entsprechenden Erfahrungen liegen vor. Die wesentlichen Punkte<br />

für eine angemessene Versorgung dieser Zielgruppe können im<br />

Folgenden benannt werden.<br />

Die Suchtkrankenhilfe inklusive Drogenhilfe hat sich die Grundprinzipien<br />

psychiatrischer Versorgung wie Regionalisierung, Sektorprinzip,<br />

Versorgungsverpflichtung, Koordination und verbindliche<br />

Kooperation anzueignen und mit den von ihr entwickelten fachlich<br />

hoch qualifizierten Hilfen zu verbinden.<br />

Die Sichtweise von Abhängigkeit hat sich vom Primat der Abstinenz<br />

zu lösen. Das lineare Modell der Behandlung und Rehabilitation<br />

ist durch ein zirkuläres, diskontinuierliches Prozessmodell<br />

mit einer neuen Zielhierarchie zu ersetzen. Vorrangigstes Ziel jeder<br />

Hilfe muss die Sicherung des Überlebens sein. Sicherung eines<br />

möglichst gesunden Lebens, Reduzierung der Trinkmengen, Verlängerung<br />

alkoholfreier Perioden, dauerhafte Abstinenz und eine selbstbestimmte<br />

Lebensgestaltung und -bewältigung in Zufriedenheit<br />

wären weitere <strong>Teil</strong>ziele.<br />

Die Organisationstrukturen sind zu verändern. Vorrangig dabei<br />

ist die Umstrukturierung und der Ausbau vorhandener Dienste zu<br />

multiprofessionell besetzten Basisteams, die:<br />

� Versorgungsverpflichtung in einem festgelegten Sektor übernehmen,<br />

� mobil aufsuchend nachgehend arbeiten,<br />

� einen Bereitschaftsdienst zur Krisenintervention vorhalten,<br />

� die unterschiedlichen Anforderungen medizinischer, therapeutischer,<br />

sozialpädagogischer, pflegerischer und ergotherapeutischer<br />

Hilfen in sich vereinigen und damit ganzheitliche Hilfen

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