27.11.2012 Aufrufe

"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Stefan Priebe und Maria Vidal Die Rolle der Hausärzte in der psychiatrischen Versorgung in England<br />

und direkte Ratschläge des Psychiaters zur Verschreibung der Psychopharmaka,<br />

denen zumeist auch gefolgt wird. Bei Patienten mit<br />

schweren psychischen Erkrankungen werden einer gesetzlichen Vorschrift<br />

folgend, regelmäßig, d.h. zumindest alle sechs Monate, Fallkonferenzen<br />

abgehalten, zu denen neben den Patienten selbst, ihre<br />

Angehörigen, ihr Betreuer und ihr Psychiater auch stets der GP eingeladen<br />

wird. Bei diesen Fallkonferenzen wird ein schriftlicher Behandlungsplan<br />

erstellt, dem idealerweise alle Beteiligten zustimmen.<br />

Sollen bei Patienten Zwangseinweisungen oder –behandlungen vorgenommen<br />

werden, muss der GP, sofern er irgendwie erreichbar ist,<br />

als Gutachter gefragt werden. Seine Zustimmung ist zur Einrichtung<br />

der Zwangsmaßnahme erforderlich und kann nur in Ausnahmefällen<br />

umgangen werden. Patienten, die an sekundäre Einrichtungen<br />

weiter verwiesen werden, verschwinden also nicht aus dem<br />

Blickfeld des GPs, sondern bleiben – im gewissen Rahmen – in seiner<br />

Zuständigkeit, wodurch sich unmittelbar die Notwendigkeit einer<br />

guten Zusammenarbeit zwischen GPs und sekundären Einrichtungen<br />

ergibt. Hierfür haben sich in der Praxis verschiedene Modelle<br />

entwickelt, die sich in Abhängigkeit von regionalen Gegebenheiten<br />

und vor allem der beteiligten Personen sehr unterscheiden können.<br />

Wenn Patienten einem Psychiater vorgestellt werden, heißt dies nicht<br />

unbedingt, dass dieser die weitere Behandlung übernehmen soll.<br />

Häufig erwartet der GP lediglich einen Rat zur weiteren Behandlung,<br />

die dann von ihm selbst vorgenommen wird. Die meisten<br />

Psychiater sehen solche Patienten in ihren eigenen Einrichtungen,<br />

andere halten entsprechende Sprechstunden in den Praxen der GPs<br />

ab (CREED & MARKS, 1989). Gegebenenfalls arbeiten Psychiater<br />

dort direkt nicht nur mit dem Patienten, sondern auch mit den<br />

Angestellten der Praxis zusammen und leisten entsprechende Fortbildungsarbeit,<br />

was sich als ein effizienter Ansatz erwiesen hat. Essenziell<br />

ist in jedem Fall eine gute Kommunikation, wofür sich regelmäßige<br />

Treffen in den Räumen der Praxis bewährt haben (MIDGLEY<br />

et al., 1996).<br />

Bisher wurde nur das staatliche Gesundheitssystem geschildert,<br />

daneben gibt es auch einen privaten Markt. GPs haben die Möglichkeit,<br />

ihre Patienten zu Privatbehandlungen zu überweisen, sofern<br />

die Patienten hierfür speziell versichert sind oder bereit sind,<br />

das Geld aus eigener Tasche zu bezahlen. In der Londoner Harley<br />

Street gibt es eine ganze Reihe privater Praxen, die häufig nur als<br />

94 95<br />

<strong>Teil</strong>zeitbeschäftigung betrieben diesem Klientel zur Verfügung stehen<br />

und auch auf private Kliniken für stationäre Behandlungen<br />

zurückgreifen können. Dieser private Markt hat aber in der <strong>Psychiatrie</strong><br />

quantitativ eine äußerst geringe Bedeutung und stellt in der<br />

Praxis für die überwiegende Mehrzahl der Patienten keine realistische<br />

Alternative dar.<br />

Versorgung ethnischer Minoritäten<br />

Eine besondere Herausforderung für das englische Gesundheitssystem<br />

ist die adäquate psychiatrische Versorgung von Angehörigen<br />

ethnischer Minoritäten. Dies gilt auch für die GPs, von denen viele<br />

selbst – zumeist aus Ländern des Commonwealth stammend – nach<br />

England eingewandert sind. Verschiedene Studien haben gezeigt,<br />

dass die Erkennungsrate psychischer Störungen durch GPs auch von<br />

der ethnischen Herkunft der Patienten beeinflusst werden kann. So<br />

wurden psychische Störungen bei Frauen indischer Herkunft besonders<br />

häufig übersehen (JACOB et al., 1998). Bei schwarzen Patienten<br />

fand sich ebenfalls eine besonders schlechte Erkennungsrate<br />

psychischer Störungen durch GPs (COMMANDER et al.,1997), und<br />

GPs berichteten, dass sie sich für die Behandlung dieser Patienten<br />

z.T. weniger einsetzten als für Patienten anderer Herkunft (BINDMAN<br />

et al., 1997). Je genauer die Untersuchungen in diesem Bereich sind,<br />

desto differenzierter scheinen auch die psychologischen und sozialen<br />

Faktoren, die für die unterschiedliche Diagnosestellung und<br />

Behandlung bei einzelnen ethnischen Minoritäten verantwortlich<br />

sein können. Es bleibt aber festzuhalten, dass die psychiatrische<br />

Versorgung von Patienten von ethnischen Minoritäten für die Forschung<br />

und für die Praxis eine Aufgabe mit derzeit hoher politischer<br />

Priorität ist. Bisher weiß man nur, dass offensichtliche Ungleichheiten<br />

bestehen und dass simple Erklärungen hierfür nicht ausreichen.<br />

Fortbildung<br />

GPs erleben sich als viel beschäftigte Leute mit wenig Zeit, sodass<br />

Fortbildungsangebote kurz und konzentriert sein müssen, um akzeptiert<br />

und genutzt zu werden. Hierfür sind zahlreiche Trainingsprogramme<br />

entwickelt worden, die GPs in die Lage versetzen sollen,<br />

psychiatrische Patienten besser zu diagnostizieren und zu behandeln.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!