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"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

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Gesundheitssystem heute – Angebotsorientierte<br />

Marktwirtschaft oder bedarfsorientierte Steuerung?<br />

Gerd Glaeske<br />

Einleitung<br />

Es ist schon überraschend: Seit einigen <strong>Jahre</strong>n wird in einer breiten<br />

Öffentlichkeit, unter Expertinnen und Experten wie unter Patientinnen<br />

und Patienten, über die Bezahlbarkeit der medizinischen Versorgung<br />

in der Gegenwart und noch mehr der Zukunft mit einem<br />

Unterton diskutiert, der geradezu anklagt, dass ökonomische Überlegungen<br />

überhaupt bei der Behandlung von Krankheit eine Rolle<br />

spielen. Dabei stehen meist die in der Kritik, die Ziele wie Effizienzoptimierung<br />

oder Nutzung von Rationalisierungsreserven in den<br />

Vordergrund stellen, Begriffe, die in marktwirtschaftlich orientierten<br />

Unternehmen ihre Bedeutung haben mögen, nicht aber in einem<br />

System zur Versorgung <strong>Kranke</strong>r – hier wird vielmehr immer<br />

der Altruismus der (Be-)Handelnden beschworen, die doch kein<br />

anderes Ziel haben, als Patientinnen und Patienten von ihren Leiden<br />

zu befreien. Vergessen wird dabei allerdings, dass Ausgaben in<br />

unserem Gesundheitssystem, die für die Behandlung anfallen, immer<br />

auch Einnahmen sind für diejenigen, die behandeln. Damit wird<br />

ein Zusammenhang verdeutlicht, der erklärt, warum in der medizinischen<br />

Versorgung auch über der Medizin ferne Einflüsse nachgedacht<br />

werden muss, die eine nicht unerhebliche Bedeutung für die<br />

Patientinnenversorgung entwickeln können. Das Schlagwort von der<br />

angebotsorientierten Nachfrage in unserem Gesundheitssystem hat<br />

hierin sicherlich seinen Ursprung, weil ein marktwirtschaftlich orientiertes<br />

Angebot keineswegs immer mit dem wirklichen Bedarf für<br />

medizinische Versorgung übereinstimmen muss – aus Gewinnstreben<br />

wird vieles angeboten, notwendig im Sinne des Bedarfs ist aber<br />

längst nicht alles, was in unserem Gesundheitssystem angewendet<br />

wird. Daher muss nach Interessen gefragt werden, die bei Anbietern<br />

von Leistungen und bei den Empfängern, bei den Patientinnen<br />

und Patienten also, ganz anders gelagert sein können: Während<br />

bei den Patientinnen und Patienten der Wunsch nach einer bedarfsgerechten<br />

und ihrem Krankheitsproblem angemessenen Versorgung<br />

Gesundheitssystem heute – Angebotsorientierte<br />

Marktwirtschaft oder bedarfsorientierte Steuerung?<br />

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vorherrscht, könnten die Anbieter geneigt sein, zusätzlich zu einem<br />

Behandlungsauftrag auch eine marktwirtschaftlich orientierte Gewinnmaximierung<br />

zur Motivation ihres Handelns zu machen – ein<br />

Eindruck, der bei manchen privatärztlich abzurechnenden Leistungen<br />

wie der Durchführung eines – zumeist überflüssigen Vitaminstatus<br />

oder der unnötig häufigen Sonographie bei Schwangeren<br />

(»Babyfoto«) entstehen kann. Warum diese widersprüchlichen Erwartungen<br />

und Interessen auftreten und wie sie zum Schutz der Patientin<br />

und des Patienten gelöst werden können, kommt in einer Anekdote<br />

zum Ausdruck, die M. Arnold ab und an erzählt und in der<br />

die besondere Beziehung zwischen Ökonomie und Medizin anschaulich<br />

wird: »Ein ansonsten gesunder Patient verschluckt sich bei einem<br />

Fischessen, und so kommt eine große Gräte in seinen Schlund,<br />

die er nicht selbst beseitigen kann. Das bringt ihn in höchste Not.<br />

Er wird zu einem Arzt gebracht, und dieser vermag mit einer Pinzette<br />

die Gräte rasch und sicher zu entfernen. Auf die Frage des<br />

erleichterten Patienten, was er für die Leistung zu bezahlen habe,<br />

entgegnet der Arzt: ›Geben Sie mir die Hälfte von dem, was Sie mir<br />

geben wollten, als die Gräte noch in Ihrem Schlund steckte.‹ « (7)<br />

Und Arnold liefert auch einige Feststellungen mit, die sich an diese<br />

Geschichte knüpfen lassen:<br />

� »Der Arzt hat dem Patienten ohne jede Vorbedingung geholfen.<br />

Er hat insbesondere nicht vor seinem Handeln in Erfahrung zu<br />

bringen gesucht, wie es um die wirtschaftliche Situation des<br />

Patienten bestellt ist und ob er die Leistung bezahlen kann.<br />

� Der Patient geht in aller Selbstverständlichkeit davon aus, dass<br />

die Leistung des Arztes eine Dienstleistung ist, die honoriert werden<br />

muss.<br />

� Der Arzt unterstellt, dass die Opportunitätskosten für den Patienten<br />

im Augenblick der Gefahr anders sind, als nachdem die<br />

Gefahr überwunden wurde.<br />

� Der Arzt hat nicht seine Monopolstellung und die prekäre Lage<br />

des Patienten ausgenutzt, um ihm vor dem Eingriff einen Preis<br />

zu diktieren. Er überlässt es im Gegenteil dem Patienten, zu entscheiden,<br />

wie viel ihm die Leistung wert ist.«

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