"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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das leitende Motiv für die Umsetzung der Versorgungsqualität. In<br />
diesem Konzept gewinnen z.B. Arzneimittel mit einem hohen <strong>Kranke</strong>nhaussubstitutionspotenzial<br />
eine besondere Bedeutung – hierdurch<br />
kann die ambulante Versorgung gestärkt und die Belastung<br />
der Patientinnen und Patienten durch lange stationäre Aufenthalte<br />
vermindert werden. Die modernen Psychopharmaka haben die Entwicklung<br />
zu einer »offenen <strong>Psychiatrie</strong>« weg von geschlossenen Abteilungen<br />
ohne Zweifel mitermöglicht, dies sollte gerade bei einer<br />
Veranstaltung zum <strong>25</strong>-jährigen Bestehen der <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete<br />
nicht vergessen werden. Eine ausreichende und verträgliche Behandlung<br />
mit wirksamen Arzneimitteln, auch aus dem Bereich der vielgescholtenen<br />
Neuroleptika, hat mit dazu beigetragen, dass jahrelang<br />
verschlossene Türen in psychiatrischen <strong>Kranke</strong>nhäusern geöffnet<br />
werden konnten. Auf diesen Zusammenhang hat übrigens auch<br />
Franco Basaglia, der charismatische Psychiater der italienischen<br />
»offenen <strong>Psychiatrie</strong>« hingewiesen, als er anlässlich eines Besuch in<br />
der psychiatrischen Klinik in Wunstorf im <strong>Jahre</strong> 1977 meinte: »Richtig<br />
angewandt ist das Medikament in der <strong>Psychiatrie</strong> ein Mittel der<br />
Befreiung.« (9). Es sollte allerdings nicht verschwiegen werden, dass<br />
marktwirtschaftliche Einflüsse in der Tat den Zugang zu notwendigen<br />
medizinischen Leistungen behindern können – eine auf den<br />
eigenen finanziellen Vorteil gerichtete sektorale Abschottung in einer<br />
Praxis kann notwendige Überweisungen zu einer Spezialistin/<br />
einem Spezialisten ebenso verhindern wie sie den raschen Übergang<br />
einer Schlaganfallpatientin aus der akut-stationären Versorgung in<br />
die Rehabilitation erschweren kann, wenn das <strong>Kranke</strong>nhaus die Liegezeiten<br />
aus finanziellen Erwägungen unnötig verlängert.<br />
Ausblick<br />
Gerd Glaeske<br />
Die medizinische Versorgung muss daher rationaler werden, Überversorgung<br />
ist unnötig und belastet die Patientinnen und Patienten,<br />
ohne den Krankheitsverlauf abzukürzen, Unterversorgung verzögert<br />
die mögliche Wiederherstellung der Gesundheit oder führt die Patientinnen<br />
und Patienten in vermeidbare Risiken. Beides ist in höchstem<br />
Maße unethisch und widerspricht der Forderung nach Bedarfsgerechtigkeit!<br />
Vor allem die Überversorgungstendenzen in unserem<br />
Gesundheitssystem, bedingt durch die weiter oben diskutierten<br />
falsch gesetzten Anreize in dem geltenden Gebührensystem, schaf-<br />
Gesundheitssystem heute – Angebotsorientierte<br />
Marktwirtschaft oder bedarfsorientierte Steuerung?<br />
218 219<br />
fen erhebliche Rationalisierungsreserven, die zu Gunsten der finanziellen<br />
Entlastung des Versorgungssystem genutzt werden müssen.<br />
Die Nutzung dieser Rationalisierungsreserven ist keineswegs mit<br />
einer verstärkten Kommerzialisierung des Versorgungssystem oder<br />
mit einer stärker entwickelten marktwirtschaftlichen Struktur zu<br />
erreichen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Kommerzialisierung der<br />
Patientinnenversorgung, wiederum Folge falsch gesetzter Anreize im<br />
Gebührensystem, muss beendet werden und Platz für Strukturen<br />
einer optimalen Versorgung machen. Die derzeitig auf Grund von<br />
Evaluationsstudien zu erkennende Maximalversorgung ist Ausdruck<br />
eines kommerzialisierten Systems, das in individueller Weise vor<br />
allem von den Leistungsanbietern (aus-)genutzt wird. Dieser Missbrauch<br />
des Systems ist aber nicht nur auf Ärztinnen und Ärzte bzw.<br />
Institutionen im Versorgungssystem begrenzt, auch Patientinnen und<br />
Patienten tragen ihre Erwartungen und Ansprüche an dieses System<br />
heran, damit ihre Vorstellungen von Behandlungsintensität befriedigt<br />
werden. Insofern werden Ärztinnen/Ärzte und Patientinnen/Patienten<br />
häufig zu »Komplizinnen bzw. Komplizen« in einem System,<br />
in dem allerdings das Machtgefälle eindeutig zu Gunsten der Ärztinnen<br />
und Ärzte verschoben ist und Patientinnen und Patienten<br />
vielfach nur auf bereitgestellte Angebote reagieren.<br />
Die gesetzliche <strong>Kranke</strong>nversicherung (GKV) ist eine der wichtigsten<br />
Kräfte im Gesundheitssystem, um die Zugangschance für alle<br />
Versicherten unabhängig von ihrer sozialen und finanziellen Lage<br />
auch zukünftig zu sichern. Sie trägt mit ihren Anforderungen im<br />
Rahmen des 5. Sozialgesetzbuches dazu bei, dass die Qualität und<br />
Wirksamkeit der medizinischen Versorgung zu angemessenen Preisen<br />
auch weiterhin angeboten wird und dass die Leistungsanbieter<br />
im Hinblick auf ihre finanziellen Interessen »diszipliniert« werden,<br />
damit sich die Versorgungsbereitschaft nicht an der Zahlungsbereitschaft<br />
der Patientinnen und Patienten orientiert. Marktwirtschaftlich<br />
ausgerichtete Angebotsstrukturen führen dagegen zu einer Privatisierung<br />
in der Gesundheitsversorgung, die sich die unterschiedliche<br />
Zahlungsmöglichkeit der Patientinnen und Patienten zu Nutze<br />
macht – die sozial Schwachen stünden dann am Ende der Reihe,<br />
wenn es um die Behandlung geht. Damit dies nicht geschieht oder<br />
zumindest weitgehend vermieden wird, muss die solidarisch finanzierte<br />
GKV gestärkt werden, Solidarität bedeutet aber auch, überflüssige<br />
und nur zweifelhaft wirksame Mittel und Behandlungswege