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"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

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Dirk K. Wolter-Henseler<br />

atrischen Behandlungsfälle auf eine etwaige dramatische Verbesserung<br />

der ambulant-komplementären Versorgungsstrukturen zurückzuführen:<br />

einerseits sind diese Strukturen erst punktuell entwickelt<br />

(6, 12, 16, 17, 18, 19), andererseits würde nach den bisherigen Erfahrungen<br />

hierdurch zunächst sogar eher noch ein Anstieg der stationären<br />

Behandlungsprävalenz induziert, weil viel »verborgenes<br />

Leid« durch die aufsuchende ambulante Tätigkeit erst entdeckt würde<br />

(12, 20, 21). Bemerkenswert ist allerdings, dass den deutschen<br />

Statistiken zufolge der Rückgang der stationären Behandlungsprävalenz<br />

älterer Patientinnen und Patienten die psychiatrischen Abteilungen<br />

in Allgemeinkrankenhäusern in deutlich stärkerem Maße<br />

betrifft als die Fachkrankenhäuser, die eigene gerontopsychiatrische<br />

Fachabteilungen vorhalten (12, 22). Im Vergleich dieser beiden unterschiedlichen<br />

Versorgungsstrukturen – integrierte psychiatrische<br />

Abteilung am Allgemeinkrankenhaus versus gerontopsychiatrische<br />

Fachabteilung – zeigt sich auch, dass in den Ersteren der Anteil<br />

hochbetagter Patientinnen und Patienten und der Anteil von Patientinnen<br />

und Patienten mit hirnorganischen Erkrankungen deutlich<br />

geringer ist (16). Dabei stellen die »alten Alten« besonders hohe<br />

Anforderungen an die Versorgungsstrukturen, denn mit zunehmendem<br />

Alter steigt die Zahl der Erkrankungen (»Multimorbidität«):<br />

unter den über 80-jährigen findet sich praktisch niemand mehr ohne<br />

nennenswerte körperliche Beeinträchtigungen, und bei einem Drittel<br />

dieser Altersgruppe liegen sieben oder mehr körperliche Beeinträchtigungen<br />

vor (8). Treten psychische Störungen hinzu, wird es besonders<br />

schwierig. Weder Hausärztinnen bzw. internistische Geriaterinnen<br />

noch Allgemeinpsychiaterinnen werden dieser hochkomplexen<br />

Aufgabe der Integration von somatischer und psychiatrischer Diagnostik<br />

und Behandlung bisher in befriedigender Weise gerecht (6,<br />

19). Die Häufung körperlicher Erkrankungen im Alter und das herrschende<br />

Paradigma unserer Medizin mit dem Primat der somatischen<br />

Sichtweise führen bekanntlich dazu, dass psychiatrische Erkrankungen<br />

häufig übersehen werden bzw. die erforderliche<br />

Behandlung unterbleibt; dies betrifft ältere Menschen in noch stärkerem<br />

Maße als jüngere, es betrifft Demenzerkrankungen ebenso<br />

wie depressive Störungen oder Suchterkrankungen (23, 24, <strong>25</strong>, 26,<br />

27). Nur ein Bruchteil der alten Patientinnen und Patienten mit einer<br />

behandlungsbedürftigen Depression erfährt eine angemessene<br />

Therapie, viele bleiben unbehandelt oder werden mit Tranquilizern<br />

Die Versorgung von alten Menschen mit psychischen Störungen –<br />

Herausforderungen und Probleme<br />

150 151<br />

fehlbehandelt (5, 23, 28). Die Prognose von depressiven alten Menschen<br />

ist besser, wenn sie im Vergleich zur rein hausärztlichen Behandlung<br />

in psychiatrischen Fachambulanzen behandelt werden<br />

(29). Während Hausärztinnen und -ärzte oft mit psychiatrischen<br />

Problemen überfordert sind, verfügen umgekehrt Allgemeinpsychiaterinnen<br />

und -psychiater in der Regel nicht über ausreichende<br />

geriatrische oder gerontopsychiatrische Kenntnisse. Ein großes<br />

Manko besteht in ihrer geringen Bereitschaft zur aufsuchenden Tätigkeit<br />

in Form von Hausbesuchen oder Altenheimbesuchen (6, 19).<br />

Dabei muss insbesondere dieser aufsuchende Aspekt zentraler Bestandteil<br />

künftiger gerontopsychiatrischer Versorgungsstrukturen<br />

sein, wie sich allein schon aus der häufig eingeschränkten Mobilität<br />

älterer Menschen zwangsläufig ergibt. Daneben sind weitere Gesichtspunkte<br />

zu berücksichtigen, z.B. die erhöhte soziale Vulnerabilität,<br />

das Angewiesensein auf Hilfen in verschiedenen Lebensbereichen<br />

und das Autonomiebestreben alter Menschen, wobei<br />

häufig psychiatrisch-therapeutische Aspekte oder eine aus Institutionssicht<br />

wünschenswerte »perfekte« Versorgung anderen Zielen,<br />

etwa dem Wunsch nach Autonomieerhalt oder nach Verbleib in der<br />

vertrauten Lebensumwelt, untergeordnet werden müssen (6, 17, 30).<br />

Noch wird der größte <strong>Teil</strong> der psychisch kranken alten Menschen<br />

nicht institutionell, sondern informell von Angehörigen und allenfalls<br />

mit teilweise institutioneller Unterstützung in Form von ambulanten<br />

Pflegediensten in der häuslichen Umgebung betreut. Das<br />

»schrumpfende Töchterpflegepotential« wird jedoch zwangsläufig<br />

dazu führen, dass der Anteil der institutionell betreuten alten Menschen<br />

zunimmt, wie sich bereits heute bei den Demenzerkrankungen<br />

ablesen lässt: schon mindestens 40 %, mancherorts aber auch bis<br />

zu 75 % der Demenzkranken (ohne sehr frühe bzw. leichte Fälle)<br />

werden in Institutionen betreut, und nur eine Minderheit kann bis<br />

zum Lebensende in der häuslichen Umgebung verbleiben – 2/3 bis<br />

3/4 aller Demenzkranken übersiedeln im Lauf der Erkrankung in<br />

ein Pflegeheim, die jährliche Heimaufnahmerate der im Privathaushalt<br />

lebenden Demenzkranken liegt bei ca. <strong>25</strong> %. Umgekehrt leiden<br />

50 bis über 70 % der Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen<br />

an einer Demenzerkrankung, in über 50 % scheinen<br />

Demenzen primär verantwortlich für die Neuaufnahme in ein Pflegeheim<br />

zu sein (2). Umso wichtiger erscheint es vor diesem Hintergrund,<br />

die noch verbliebenen pflegenden Angehörigen (aber auch

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