"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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Georg Kremer<br />
MILLER & ROLLNICK (8) führen eine Vielzahl von Untersuchungen<br />
zum Alkoholkonsum aus Kanada, England, Schottland, Neuseeland,<br />
Schweden, Norwegen, den USA sowie eine Multicenter-<br />
Studie der WHO an, die übereinstimmend zu dem Ergebnis<br />
kommen, dass relativ kurze Interventionen von einer bis zu drei Sitzungen<br />
im Hinblick auf eine Veränderung von Trinkgewohnheiten<br />
eine mit längeren Behandlungen vergleichbare Wirkung bzw. eine<br />
gegenüber keiner Behandlung überlegene Wirkung erzielen.<br />
Mitte der 80er-<strong>Jahre</strong> etablierte sich im angelsächsischen Raum<br />
der Begriff »brief interventions« (Kurzinterventionen). Kurzinterventionen<br />
für die Beratung von Patientinnen und Patienten mit<br />
Alkoholproblemen schienen insbesondere für den Einsatz in Arztpraxen<br />
und Allgemeinkrankenhäusern geeignet. Dies konnte in<br />
weiteren Studien eindrucksvoll belegt werden. Die Effektivität von<br />
Kurzinterventionen wurde v.a. am Kriterium »Reduktion der Alkoholmenge«<br />
belegt. Aber auch andere Messwerte, wie z.B. »Verbesserung<br />
der Blutwerte«, »Inanspruchnahme weiterführender Hilfen«<br />
oder »Krankschreibungstage im Katamnesezeitraum« zeigten nach<br />
Kurzinterventionen z.T. deutliche Veränderungen. Eine ausführliche<br />
Zusammenfassung der wichtigsten Kurzinterventionsstudien,<br />
ihrer methodischen Designs, der Zielgruppen, Messwerte und Ergebnisse<br />
haben BIEN, MILLER & TONIGAN vorgelegt (9, vgl. auch<br />
10, 11, 12).<br />
In einer eigenen Untersuchung (13) wurden 1.221 Patientinnen<br />
und Patienten zweier Allgemeinkrankenhäuser bezüglich einer<br />
Alkoholproblematik befragt; 207 Patientinnen und Patienten wiesen<br />
einen riskanten oder schädlichen Gebrauch oder eine Alkoholabhängigkeit<br />
auf und erhielten eine alkoholspezifische Kurzintervention<br />
basierend auf dem Konzept des »motivational interviewing« (8);<br />
161 Patientinnen und Patienten gaben ihr Einverständnis zu einer<br />
Nachbefragung. Nach zwölf Monaten konnten 114 Patientinnen und<br />
Patienten (70,8 %) bezüglich ihrer Trinkgewohnheiten nachbefragt<br />
werden. Es zeigte sich eine signifikante Reduktion der Alkohol-Trinkmenge<br />
um 46 %. Die Rate der Inanspruchnahme von weiterführenden<br />
Hilfen für Abhängigkeitskranke stieg von 19 % auf 33 % an.<br />
Die Häufigkeit alkoholbezogener Diagnosen verringerte sich signifikant.<br />
Der Zeitaufwand für die Interventionen betrug hier pro Patientin<br />
bzw. Patient durchschnittlich 36 Minuten. In einer vergleichbaren<br />
Studie von JOHN et al. (2) stieg im selben Katamnesezeitraum<br />
Suchtkrankenhilfe und medizinische Primärversorgung<br />
184 185<br />
die Rate der Inanspruchnahmen weiterführender Hilfen von 29 %<br />
auf 56 %.<br />
BIEN et al. (9) fassen die Ergebnisse der Studien zu Kurzinterventionen<br />
in der medizinischen Versorgung zusammen: »Kurzinterventionen<br />
in Settings der medizinischen Versorgung wurden in 14<br />
Ländern im Vergleich mit unbehandelten Kontrollpatienten getestet.<br />
Unter etwa einem Dutzend Studien, die eine Überweisung bzw.<br />
Vermittlung in spezialisierte Behandlungseinheiten zum Ziel hatten,<br />
zeigten Kurzinterventionen mit einer Ausnahme signifikante Effekte.<br />
Sieben von acht Studien, die vor allem die Reduktion des Alkoholkonsums<br />
oder alkoholassoziierter Probleme zum Ziel hatten,<br />
zeigten signifikant positive Ergebnisse. Die kurze Beratung muss als<br />
eine der potentesten Interventionsformen angesehen werden, die<br />
kosten-effektivste ist sie sicherlich ...«<br />
ARNOLD, SCHMID & SIMMEDINGER (14) konnten zeigen, dass<br />
auch drogenabhängige Patientinnen und Patienten, die notfallmäßig<br />
in ein Allgemeinkrankenhaus eingewiesen worden waren, nach einer<br />
kurzen Intervention (auf Basis des »motivational interviewing«)<br />
zu einer Problematisierung ihrer Konsumgewohnheiten bereit waren<br />
und die Inanspruchnahme weiterführender Hilfen deutlich steigerten.<br />
Kurzinterventionen verfolgen eine begrenzte Zielsetzung: Veränderungsmotivation<br />
ermitteln, nach Möglichkeit stärken und evtl. einen<br />
ersten Veränderungsschritt vereinbaren. Angestrebt wird ein auf die<br />
einzelnen Patientinnen und Patienten abgestimmter gesünderer Umgang<br />
mit Suchtmitteln. Das Interventionsziel ist jeweils im Einzelfall<br />
zu bestimmen. Für alle Patientinnen und Patienten gilt dabei das<br />
allgemeine Interventionsziel »Verringerung des Suchtmittelkonsums«.<br />
Dieses Interventionsziel kann sich äußerst vielfältig operationalisieren:<br />
z.B. Verringerung der täglichen Konsummenge, Verringerung<br />
der wöchentlichen Konsummenge, Verringerung der<br />
Konsumtage, Umsteigen auf andere (weniger schädliche) Substanzen<br />
u.v.m. In Einzelfällen kann die »Vermittlung zu weiterführenden<br />
Hilfen« (z.B. stationäre Entgiftung, Fachberatungsstelle, Psychotherapeutin<br />
bzw. -therapeuten) ein Interventionsziel sein.<br />
Letzteres gilt insbesondere für Patientinnen und Patienten, die alkoholabhängig<br />
oder abhängig von illegalen Drogen sind. Doch auch<br />
für medikamenten- und nikotinabhängige Patientinnen und Patienten<br />
kann eine Vermittlung zu einer fachspezifischen Hilfe ange-