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"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

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Toma Tomov <strong>Psychiatrie</strong>-Reform in Osteuropa<br />

GIP versuchte hierfür die Rahmenbedingungen zu schaffen. Über<br />

die letzten <strong>Jahre</strong> sind Hunderte von Menschen diesem Netzwerk beigetreten,<br />

hierbei handelt es sich nicht um eine staatlich einberufene<br />

Kommission, vielmehr ergibt sich die Daseinsberechtigung dieses<br />

Netzwerkes aus dem gemeinsamen Vorhaben der Beteiligten, psychiatrische<br />

Reformen in diesem <strong>Teil</strong> Europas durchzusetzen.<br />

Mithilfe dieses Netzwerkes konnte die ANAP-Studie durchgeführt<br />

werden, die Absicht dieses Projektes bestand darin Bedürfnisse,<br />

Vorstellungen und Annahmen bezüglich osteuropäischer <strong>Psychiatrie</strong>-Reformen<br />

zu erfassen und zu untersuchen. Die Studie erschien<br />

sinnvoll, da die Durchführung psychiatrischer Reformen in Osteuropa<br />

bisher wenig Tradition besitzt, ferner können diesbezügliche<br />

Annahmen und Einstellungen erst durch eine öffentliche Diskussion<br />

an Aussagekraft zu gewinnen.<br />

Die ANAP-Studie gab substanzielle Erkenntnisse bezüglich der<br />

Frage, inwiefern Reformbewegungen im östlichen <strong>Teil</strong> Europas bereits<br />

<strong>Teil</strong> der psychiatrischen Landschaft sind. Hierbei scheinen folgende<br />

Fragen besonders relevant (10):<br />

� Sind Ärztinnen/Ärzte in der Lage, sich ernsthaft um ihre Patientinnen<br />

und Patienten zu kümmern? (Verantwortung gegenüber<br />

Patientinnen und Patienten)<br />

� Sind Ärztinnen/Ärzte in der Lage, die Sichtweisen ihrer Patientinnen<br />

und Patienten zu respektieren? (Offenheit der <strong>Psychiatrie</strong>)<br />

� Sind die Gemeinden in der Lage, psychisch kranke Menschen<br />

aufzunehmen? (Möglichkeit einen Platz anzubieten)<br />

� Sind die Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Lage, auf die Bedürfnisse<br />

von Patientinnen und Patienten adäquat zu antworten?<br />

(Gemeindenahe Versorgungsmöglichkeiten)<br />

� Sind Reformen in der Lage, den Verlauf psychischer Erkrankungen<br />

zu verbessern? (Wirkung auf klinische Symptome)<br />

� Sind Reformen in der Lage, dauerhafte Gesundheitsschäden zu<br />

reduzieren? (Einfluss auf gesellschaftliche Funktionsfähigkeit)<br />

Bezüglich dieser oben genannten Fragen haben sowohl Helferinnen<br />

und Helfer als auch Betroffene negative Erwartungen und Einstellungen.<br />

Beide Gruppen sind der Meinung, dass sowohl das Verantwortungsgefühl<br />

als auch die Offenheit gegenüber der <strong>Psychiatrie</strong><br />

niedrig sind, dass die Gemeinden nicht in der Lage sind, für psy-<br />

300 301<br />

chisch kranke Menschen da zu sein und dass psychiatrische Reformen<br />

kaum einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf bzw. soziale<br />

Konsequenzen haben werden. Anders gesagt, die Schlüsselgruppen<br />

innerhalb der <strong>Psychiatrie</strong>landschaft offenbarten ihre Hilflosigkeit,<br />

dies ist verwirrend und befremdlich. Aber in Folge der Auswirkungen<br />

der politischen Geschehnisse Ende der 80-<strong>Jahre</strong>, während derer<br />

die frühere politische Führung zurücktrat und ein Machtvakuum<br />

hinterließ, scheinen Unsicherheiten und Entfremdung eine natürliche<br />

Folge darzustellen. Um das bestehende Gesundheitssystem zu<br />

reformieren, wird die Einstellung und das Wissen kompetenter Fachkräfte<br />

benötigt, welches weder Ärztinnen und Ärzte noch Betroffene<br />

oder Bürgerinnen und Bürger während kommunistischer Zeiten<br />

entwickeln durften. Ein weiteres interessantes Ergebnis der ANAP-<br />

Studie umfasst die Interpretation und Deutung des Zustandes des<br />

derzeit bestehenden psychiatrischen Gesundheitssystemes. Hier<br />

wurde die Meinung unterschiedlicher Zielgruppen eingeholt. Drei<br />

dieser Zielgruppen sollten hierbei besonders unter die Lupe genommen<br />

werden. Es handelte sich um<br />

� ärztliche Leiterinnen und Leiter in Bulgarien, welche Reformen<br />

befürworten,<br />

� Patientinnen und Patienten, die sich als Aktivisten in der Menschenrechtsbewegung<br />

eingesetzt haben und<br />

� Medizinerinnen und Mediziner, die zurzeit der Studienerhebung<br />

gerade dabei waren, ihre Facharztausbildung im Bereich <strong>Psychiatrie</strong><br />

zu beginnen.<br />

Alle drei Gruppen hatten die Aufgabe, die parallele Existenz zweier<br />

Wirklichkeiten zu diskutieren. Die erste, offizielle Wirklichkeit besteht<br />

in Form von Gesetzen, Anordnungen, Erlassen, <strong>Jahre</strong>sberichten<br />

etc. Diese Realität war nur zu seltenen Anlässen, beispielsweise<br />

bei Demonstrationen politischer Macht oder der Festlegung des<br />

Gesundheitsbudgets von Bedeutung. Die real bestehende Wirklichkeit<br />

fand sich auf einer verbalen Ebene, sie bildete sozusagen den<br />

<strong>Psychiatrie</strong>-Ethos in diesem <strong>Teil</strong> der Welt. Offiziell tauchte diese<br />

Wirklichkeit jedoch nicht auf. In der Tat war es so, dass die beiden<br />

Wirklichkeiten, also die offizielle und die real Bestehende in den<br />

Ländern Osteuropas niemals zusammenkamen. Vielmehr schienen<br />

die Menschen dieser Länder zwischen diesen beiden Realitäten wie<br />

zwischen zwei Software-Programmen zu wechseln, abhängig davon,

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