"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Lorenzo Burti<br />
dings zeigte schon 1984 eine landesweite Begleitforschung durch<br />
CENSIS, eine angesehene italienische Organisation für sozialwissenschaftliche<br />
Studien, dass sich sowohl stationäre als auch extramurale<br />
Dienste im ganzen Land entwickelt hatten und diese über 80 % der<br />
italienischen Bevölkerung in ihrem eigenen Einzugsbereich zur Verfügung<br />
standen. In der Tat wiesen 675 von 694 Ulss (Unità locali<br />
socio-sanitarie; den lokalen Gesundheitsbezirken) gemeindepsychiatrische<br />
Dienste auf. Zur gleichen Zeit gab es 236 Abteilungen<br />
an Allgemeinkrankenhäusern mit insgesamt 3.113 Betten (5,4 pro<br />
100.000 Einwohnerin/Einwohner: 60 % der geplanten Betten).<br />
Diese Abteilungen verzeichneten insgesamt etwa 80.000 Aufnahmen<br />
im Jahr, davon waren 1/5 Zwangseinweisungen und 1/3 Wiederaufnahmen.<br />
1984 war der gesamte Anteil stationärer Versorgung (332<br />
pro 100.000 Einwohnerin/Einwohner, sowohl öffentlicher als auch<br />
privater Bereich) geringer als vor der Reform im Jahr 1977 (389 pro<br />
100.000 Einwohnerinnen/Einwohnern). Demnach hatte das Verbot<br />
von Neuaufnahmen in psychiatrischen <strong>Kranke</strong>nhäusern die Institutionalisierung<br />
neuer Patientinnen und Patienten verhindert, zugleich<br />
war kein Anstieg des »Drehtürpsychiatrie«-Phänomens in den<br />
Abteilungen der Allgemeinkrankenhäuser zu verzeichnen, ebenso<br />
wenig wie eine Verlagerung in den privaten Sektor. Es entstanden<br />
Einrichtungen beschützten Wohnens mit 2.901 Betten (5,03 pro<br />
100.000 Einwohnerinnen/Einwohner), aber ihre Zahl wurde als<br />
noch nicht ausreichend angesehen, den Wohnbedarf zu decken. Zum<br />
Zeitpunkt der CENSIS-Untersuchung hatte sich die Anzahl der<br />
psychiatrischen Patientinnen und Patienten im psychiatrischen<br />
<strong>Kranke</strong>nhaus halbiert von 60.000 vor der Reform bis auf weniger<br />
als 30.000. Die Qualität der Versorgung war jedoch generell schlecht<br />
und nahm weiter ab. Es gab nur eine Hand voll Rehabilitations- bzw.<br />
Enthospitalisierungsprogramme und es hatten sich nur wenige Kontakte<br />
mit gemeindepsychiatrischen Institutionen zur gemeinschaftlichen<br />
Wiedereingliederung der Patientinnen und Patienten gebildet.<br />
Nach einigen gescheiterten Versuchen und laufenden Gesetzesanträgen<br />
zur Aufhebung der Reform, verabschiedete das Parlament<br />
schließlich 1994 einen nationalen psychiatrischen Gesundheitsplan.<br />
Er bewirkte sowohl politisch eine Bestätigung des mit der 16 <strong>Jahre</strong><br />
alten Reform eingeschlagen Weges als auch administrativ eine Vorgabe<br />
gemeinsamer Standards für den Betrieb und die Finanzierung<br />
324 3<strong>25</strong><br />
der psychiatrischen Dienste in den Regionen. Dieser Plan schrieb<br />
die Integration aller örtlichen psychiatrischen und sozialen Dienste<br />
unter einer Verwaltungsorganisation vor: dem Department für Seelische<br />
Gesundheit (Departimento di Salute Mentale, DSM), im Normalfall<br />
für etwa 150.000 Einwohnerinnen und Einwohner verantwortlich,<br />
das die folgenden Dienste anbietet:<br />
� Gemeindepsychiatrisches Zentrum für Seelische Gesundheit<br />
(Centro di Salute Mentale, CSM). Es bietet die extramurale Versorgung<br />
und Notfallintervention, Beratung und Unterstützung<br />
für die Familien, Case Management, Sozialarbeit, Rehabilitation<br />
und berufliche Förderung, Arbeitsplatzsuche, Überwachung der<br />
<strong>Kranke</strong>nhauseinweisungen und die Wiedereingliederung der aus<br />
dem psychiatrischen <strong>Kranke</strong>nhaus entlassenen Patientinnen und<br />
Patienten;<br />
� Psychiatrische Abteilung am Allgemeinkrankenhaus (Servizio di<br />
Diagnosi e Cura, SDC): ein Bett pro 10.000 Einwohnerinnen<br />
und Einwohner<br />
� Tagesangebote, mit einem Platz pro 10.000 Einwohnerinnen<br />
und Einwohner, z.B. Tageskliniken und Tagesstätten;<br />
� Wohneinrichtungen mit mindestens einem Bett pro 10.000 Einwohnerinnen<br />
und Einwohner. Sie bieten Langzeitbehandlung<br />
in kleinen (maximal 20 Betten) Heim-ähnlichen Einrichtungen<br />
für chronisch psychisch Behinderte (u.a. den ehemaligen Patientinnen<br />
und Patienten der psychiatrischen <strong>Kranke</strong>nhäuser)<br />
Wohngruppen<br />
Die italienische <strong>Psychiatrie</strong>-Reform über 20 <strong>Jahre</strong> später<br />
Die personelle Ausstattung des Department für Seelische Gesundheit<br />
sollte angemessen, d.h. mit mindestens einem psychiatrischen<br />
Mitarbeiter pro 1.500 Einwohner ausgestattet sein.<br />
1998 wurde ein Nationaler Gesundheitsplan für die <strong>Jahre</strong> 1998–<br />
2000 erlassen; er nahm die Systemstrukturen und Kontingente des<br />
vorherigen Planes auf, legte jedoch unterschiedliche Schwerpunkte<br />
auf die Ziele, insbesondere in Bezug auf die Zusammenarbeit und<br />
Koordination der psychiatrischen Dienste mit anderen Diensten,<br />
sowie auf Qualitätssicherung:<br />
� Zusammenarbeit/Koordination mit anderen Gesundheits- und<br />
Sozialdiensten;<br />
� Zusammenarbeit/Koordination mit Universitäten;