"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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Die europäische Perspektive psychiatrischer Reformen 1<br />
Thomas Becker und José Luis Vàzquez-Barquero<br />
Einleitung<br />
Die Evaluation psychiatrischer Reformprozesse ist schwierig. Wenn<br />
die Reformprozesse in der Versorgung psychisch kranker Menschen<br />
in verschiedenen Ländern vergleichend betrachtet werden, so wird<br />
die Aufgabe nicht einfacher. Es hat in den letzten <strong>Jahre</strong>n eine Reihe<br />
vergleichender Studien psychiatrischer Versorgung in Europa gegeben<br />
(1, 2, 3, 4, 5, 6, 7). In einer Zeit, in der die Länder der europäischen<br />
Region dichter zusammenrücken, wird die Bedeutung der<br />
europäischen Perspektive zunehmen, angemessene Forschungsmethoden<br />
werden benötigt. Psychiatrische Reformprozesse werden<br />
durch breite soziale, kulturelle und wissenschaftliche Entwicklungen<br />
vorangetrieben. Dies ist während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />
deutlich der Fall gewesen (8). Das letzte Viertel jenes Jahrhunderts<br />
ist durch Reformprozesse in der psychiatrischen Versorgung<br />
geprägt worden. Für die psychiatrische Versorgungsforschung ist es<br />
schwierig gewesen, der Geschwindigkeit und Komplexität dieser<br />
Veränderungen Rechnung zu tragen, wenn man von Ausnahmen wie<br />
der englischen Evaluationsforschung zu Deinstitutionalisierung,<br />
Umgestaltung des Versorgungssystems und gemeindepsychiatrischer<br />
Versorgung absieht.<br />
Das Supplement der Acta Psychiatrica Scandinavica (2), welches<br />
die Vorträge des internationalen Symposiums anlässlich der<br />
Tagung »<strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete – Entwicklungslinien und<br />
Perspektiven der <strong>Psychiatrie</strong>-Reform« vereint, bezieht sich auf den<br />
grundlegenden Reformansatz der <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete für die Bundesrepublik<br />
Deutschland einerseits und den Kontext europäischer<br />
<strong>Psychiatrie</strong>-Reformen andererseits. Wesentlich ist auch im europäischen<br />
Zusammenhang, dass die Enquete klare Leitlinien formulierte,<br />
1 Dieser Artikel beruht auf einer Arbeit, die zuerst in »<strong>Psychiatrie</strong> Reform –<br />
The European Perspective and Developments in Germany (<strong>25</strong> Years after<br />
the Enquete)«, Acta Psychiatrica Scandinavica Supplementum No 410,<br />
Volume 104, 2001, veröffentlicht wurde.<br />
276 277<br />
insbesondere den Prinzipien umfassender und koordinierter<br />
gemeindepsychiatrischer Behandlung und der Gleichstellung von<br />
psychisch <strong>Kranke</strong>n mit körperlich <strong>Kranke</strong>n Rechnung trug. Damit<br />
ist die Bezugnahme auf die <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete hilfreich auch in der<br />
Betrachtung der europäischen Reformprozesse.<br />
Während des internationalen Symposiums diskutierten Expertinnen<br />
und Experten die psychiatrischen Reformprozesse in neun<br />
Ländern. Diese Beiträge sollten den internationalen Kontext des Reformprozesses<br />
in Deutschland skizzieren und einen orientierenden<br />
Eindruck davon geben, wie sich die psychiatrische Versorgung in Europa<br />
seit etwa 1975 entwickelt hatte. Die Sichtweisen von Patientinnen/Patienten,<br />
Nutzerinnen/Nutzern (Ex-Nutzerinnen/Nutzer)<br />
sollten in die Diskussion einfließen, was seinen Ausdruck darin fand,<br />
dass das Symposium durch zwei Vertreterinnen von (Ex-)Nutzerinnen-<br />
und Angehörigen-Organisationen mitgeleitet wurde.<br />
Methode<br />
Die europäische Perspektive psychiatrischer Reformen<br />
Das Supplement der Acta Psychiatrica Scandinavica (2) erlaubt eine<br />
Betrachtung der Entwicklung von <strong>Psychiatrie</strong>-Reformen in neun europäischen<br />
Ländern (Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande,<br />
Polen, Russland, Spanien, Schweden und England und Wales). Das<br />
Supplement enthält weiterhin drei Beiträge aus Angehörigenperspektive<br />
(Situation in Deutschland und vergleichende europäische<br />
Betrachtung) sowie aus europäischer Perspektive aus der Sicht von<br />
(Ex-)Nutzerinnen und Nutzern psychiatrischer Dienste.<br />
Die Länder, die während des Symposiums behandelt wurden,<br />
reichen vom Osten zum Westen Europas und schließen Länder im<br />
Norden und Süden der europäischen Region ein. Diese Länder<br />
unterscheiden sich erheblich, was ihre geografische Ausdehnung,<br />
Bevölkerungsgröße, politische und ökonomische Systeme, das Sozialsystem<br />
und die wohlfahrtsstaatliche Verfassung anbelangt. Die<br />
Unterschiede umfassen die Struktur des Gesundheitssystems, die<br />
Organisation des psychiatrischen Versorgungssystems und viele andere<br />
relevante Merkmale. Im vorliegenden Text werden einige der<br />
Ähnlichkeiten und Unterschiede auf der Grundlage von summarischen<br />
Tabellen dargestellt.<br />
Tabellen 1–3 beschreiben einige wichtige Charakteristika, Eigenschaften,<br />
Indikatoren und Deskriptoren der jeweiligen Länder,