"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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Alkoholpsychosen 3 %<br />
Medikamenten-,<br />
Drogenabhängigkeit 4%<br />
Persönlichkeitsstörungen<br />
5 %<br />
Psychogene Reaktion<br />
(Anpassungsstörung) 6 %<br />
Verteilung der Belegungstage<br />
(= stationäre Kosten) im <strong>Jahre</strong> 1998<br />
übrige 17 %<br />
Senile und präsenile<br />
organische Psychosen 7 %<br />
Jürgen Fritze Sozialrechtliche Voraussetzungen und Perspektiven<br />
Neurosen<br />
9 %<br />
Alkoholabhängigkeit<br />
11 %<br />
Schizophrenie<br />
<strong>25</strong> %<br />
Affektive<br />
Psychosen<br />
13 %<br />
Abb. 3: Anteil der führenden Krankheitsgruppen an den Belegungstagen<br />
(und damit Kosten der vollstationären Behandlung)<br />
fektiven Psychosen (12,6 %) und der Alkoholabhängigkeit (11,3 %).<br />
Aus ökonomischer Sicht ist es plausibel, auf die größten Kostenblöcke<br />
den größten ökonomischen Druck auszuüben, denn hier sind<br />
die größten Einsparungen (i.W. durch Verweildauerverkürzung) und<br />
damit die größte Effizienz der Intervention zu erwarten. Dass der<br />
Druck bei den affektiven Psychosen bisher die geringsten Wirkungen<br />
auf die Verweildauer hatte, erklärt sich vermutlich bezüglich der<br />
Depressionen aus dem Suizidrisiko und bei den Manien aus der<br />
möglichen Fremdgefährdung. Die meisten psychischen Krankheiten<br />
nehmen einen chronischen oder chronisch-rezidivierenden Verlauf.<br />
Also darf mit wenigen Ausnahmen die professionelle Betreuung<br />
psychisch <strong>Kranke</strong>r nicht mit der Entlassung aus dem<br />
<strong>Kranke</strong>nhaus enden. Behandlungskontinuität ist unverzichtbar.<br />
Gleichzeitig gilt es, den Auftrag der <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete zur<br />
gemeindenahen Versorgung weiterzuentwickeln in Richtung der Versorgung<br />
im individuellen Lebensfeld der <strong>Kranke</strong>n. Das bedeutet eine<br />
zunehmende Abkehr vom bisherigen Einrichtungsbezug: Idealtypisch<br />
kommen künftig die <strong>Kranke</strong>n nicht mehr zur Institution, um<br />
das dort vorgehaltene Standardrepertoire an Angeboten (so weit sie<br />
eben vorhanden sind) zu nutzen, sondern den <strong>Kranke</strong>n werden die<br />
Angebote entsprechend der aktuellen medizinischen Notwendigkeit<br />
individuell ausgewählt zugänglich gemacht. Deshalb müssen die<br />
psychiatrischen Kliniken und Abteilungen mit den komplementären<br />
Diensten und der niedergelassenen Ärztinnenschaft zu einem<br />
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funktionierenden, patientinnenzentriert arbeitenden Netz verwoben<br />
werden. Der ökonomisch motivierte Druck auf die Verweildauern<br />
trifft sich hier mit dem therapeutischen Interesse, die Behandlung<br />
zunehmend in das Lebensfeld der <strong>Kranke</strong>n zu verlagern. Gleichzeitig<br />
gefährdet aber die ökonomisch motivierte Verkürzung der<br />
Verweildauer die Behandlungskontinuität, wenn nicht entsprechende<br />
ambulante Versorgungsmöglichkeiten geschaffen werden. Vor diesem<br />
Hintergrund hat der Gesetzgeber im Gesundheitsreformgesetz<br />
2000 den Anspruch von <strong>Kranke</strong>n, die wegen der Schwere ihrer Erkrankung<br />
nicht in der Lage sind, ärztliche oder ärztlich verordnete<br />
Leistungen selbstständig in Anspruch zu nehmen, auf ambulante<br />
Soziotherapie festgeschrieben, »wenn dadurch <strong>Kranke</strong>nhausbehandlung<br />
vermieden oder verkürzt wird oder wenn diese geboten, aber<br />
nicht ausführbar ist« (§ 37a SGB V). Der Bundesausschuss der Ärzte<br />
und <strong>Kranke</strong>nkassen hat in seinen Richtlinien insbesondere zu konkretisieren,<br />
bei welchen Krankheitsbildern die Voraussetzungen für<br />
den Anspruch erfüllt sind und wie die Soziotherapie inhaltlich und<br />
formal auszugestalten ist. Mit dem Anspruch auf ambulante Soziotherapie<br />
soll also die Behandlungskontinuität gewährleistet werden,<br />
um <strong>Kranke</strong>nhausbehandlung wo möglich gar nicht mehr notwendig<br />
werden zu lassen. Durch die Soziotherapie sollen also <strong>Kranke</strong><br />
erreicht werden, die grundsätzlich den Kontakt zur niedergelassenen<br />
Ärztin bzw. zum Arzt pflegen, die aber nicht durchgängig in der<br />
Lage sind, regelmäßig die indizierten Behandlungsmaßnahmen<br />
selbstständig »abzuholen«. Die Soziotherapie dient also zur Sicherstellung<br />
der ambulanten Therapie per se und ihrer Kontinuität. Dem<br />
Bundesausschuss ist es bisher (Stand April 2001) nicht gelungen,<br />
die von § 37a SGB V geforderten Regelungen zu konsentieren. Die<br />
Soziotherapie gemäß § 37a SGB V erreicht quasi per definitionem<br />
solche <strong>Kranke</strong>n nicht, die die Hilfsangebote niedergelassener Ärztinnen<br />
und Ärzte überhaupt nicht in Anspruch nehmen. Entsprechend<br />
hat das Gesundheitsreformgesetz 2000 als Analogon psychiatrische<br />
Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern, die an der<br />
regionalen Pflichtversorgung teilnehmen, ermächtigt, Institutsambulanzen<br />
zu führen (§ 118 Abs. 2 SGB V). Dazu hatte die Selbstverwaltung<br />
(Spitzenverbände der <strong>Kranke</strong>nkassen, Deutsche <strong>Kranke</strong>nhausgesellschaft,<br />
Kassenärztliche Bundesvereinigung) in einem<br />
Vertrag zu konsentieren, der die Gruppe psychisch <strong>Kranke</strong>r definiert,<br />
die »wegen der Art, Schwere oder Dauer ihrer Erkrankung« der am-