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"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

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Dirk K. Wolter-Henseler<br />

die Pflegekräfte in den Heimen) in die Lage zu versetzen, diese<br />

Aufgabe möglichst effektiv wahrnehmen zu können. Modelle für die<br />

Angehörigenschulung existieren. In einer amerikanischen Untersuchung<br />

konnte beispielsweise gezeigt werden, dass durch ein gar nicht<br />

besonders aufwendiges Programm die Heimübersiedlung um fast<br />

ein Jahr hinausgezögert werden konnte (31), andere Autorinnen und<br />

Autoren konnten ähnliche Erfolge psychosozialer Interventionen<br />

nachweisen (32, 33, 34). Es kann nicht oft genug betont werden,<br />

dass das weit verbreitete Vorurteil keineswegs zutrifft, demzufolge<br />

psychosoziale Interventionen bei hirnorganischen Erkrankungen<br />

unbedeutend oder sogar unwirksam wären. Allerdings erfordern<br />

solche Fragen des psychologischen Verständnisses von Demenzerkrankungen,<br />

der Milieugestaltung usw. spezielle Kenntnisse und<br />

Erfahrungen (35, 36, 37, 38, 39). Dasselbe gilt für Fragen der vielfachen<br />

komplizierten Zusammenhänge zwischen seelischen und körperlichen<br />

Erkrankungen im Alter (23, 40), für die psychotherapeutische<br />

Auseinandersetzungen mit speziellen Problemstellungen des<br />

Alters und des Alterns (41) oder für Besonderheiten der psychopharmakologischen<br />

Behandlung.<br />

Durch solche besonderen Aufgabenstellungen definiert sich Gerontopsychiatrie<br />

– wie bereits erwähnt – als eigenständiges Arbeitsfeld,<br />

in dem spezialisiertes Fachwissen erarbeitet, in dem Erkenntnisse<br />

gewonnen und i.S. der Ausbildung nachrückender Fachkräfte<br />

weitergegeben werden. Diese Aufgaben können nicht von Einzelkämpferinnen<br />

und -kämpfern wahrgenommen werden, hierzu bedarf<br />

es gerontopsychiatrischer Kompetenzzentren. Solche Kompetenzzentren<br />

sind in Deutschland gegenwärtig überwiegend die<br />

gerontopsychiatrischen <strong>Kranke</strong>nhausfachabteilungen (12) – die sich<br />

allerdings zunehmend extramural betätigen und dabei mit einem<br />

Vierteljahrhundert Verspätung das von der <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete entwickelte<br />

und von der Expertenkommission modifizierte Konzept des<br />

Gerontopsychiatrischen Zentrums in die Tat umsetzen. Das Gerontopsychiatrische<br />

Zentrum, bestehend aus den Bausteinen: Ambulanz,<br />

Tagesklinik und Beratung, soll dabei als übergeordnete Aufgabe<br />

in der Versorgungsregion Impulse für die Weiterentwicklung der<br />

Versorgungsstrukturen einbringen (6, 18). Das Gerontopsychiatrische<br />

Zentrum ist aber keineswegs Endpunkt der Reformüberlegungen,<br />

vielmehr kommt es darauf an, i.S. von Verbundlösungen<br />

die verschiedenen Anbieter zusammenzuführen (17, 42). Dabei tut<br />

Die Versorgung von alten Menschen mit psychischen Störungen –<br />

Herausforderungen und Probleme<br />

152 153<br />

sich die Gerontopsychiatrie schwer, ihre Identität zu finden. Die Bezeichnung<br />

legt nahe, dass sie zur <strong>Psychiatrie</strong> gehöre. So zutreffend<br />

diese Zuordnung auch in Deutschland überwiegend eingeschätzt<br />

wird, so ungenügend ist sie gleichzeitig: Gerontopsychiatrie geschieht<br />

stets im Überlappungsbereich von <strong>Psychiatrie</strong>, somatischer Medizin<br />

und Altenhilfe. Wer Gerontopsychiatrie betreibt, sitzt damit<br />

zwischen drei Stühlen. Und die Gefahr ist groß, dass daraus ein<br />

Bermudadreieck wird, in dem die Gerontopsychiatrie verschwinden<br />

könnte; denn weder von ihrer Mutterdisziplin, der <strong>Psychiatrie</strong>, noch<br />

von der somatischen Medizin, insbesondere der internistischen Geriatrie,<br />

wird sie geschätzt. Allgemeinpsychiatrie und internistische<br />

Geriatrie versuchen mitunter den Eindruck zu erwecken, als könnten<br />

sie Gerontopsychiatrie nebenher mitbetreiben. Sehr zum Leidwesen<br />

der Altenhilfe, ist dies doch der Bereich, in dem die Gerontopsychiatrie<br />

die größte Wertschätzung erfährt, weil man hier auf<br />

dieses spezialisierte Fachwissen angewiesen ist, denn die Heime sind<br />

seit Beginn der <strong>Psychiatrie</strong>-Reform zur »heimlichen Gerontopsychiatrie«<br />

(43) geworden. Doch dieses spezialisierte Fachwissen kann<br />

nur erhalten werden, lebendig bleiben und sich fortentwickeln, wenn<br />

es auch künftig Kompetenzzentren gibt, in denen es gedeihen kann.<br />

Die Zukunftsvision von Versorgungsstrukturen mit psychiatrischen<br />

Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern ohne gerontopsychiatrische<br />

Kompetenz, die sich die psychiatrisch-psychotherapeutischen<br />

»Rosinen« aus der Schar der älteren Patientinnen und Patienten herauspicken,<br />

während die hochbetagten körperlich und hirnorganisch<br />

kranken Patientinnen in somatischen <strong>Kranke</strong>nhausabteilungen ohne<br />

angemessene psychiatrische Versorgung verkümmern, ist beklemmend.<br />

Ob Gerontopsychiatrie als eigenes Arbeitsgebiet im beschriebenen<br />

Bermudadreieck bestehen bleibt – die Bestrebungen für eine<br />

entsprechende Schwerpunktbildung im Fachgebiet »<strong>Psychiatrie</strong> und<br />

Psychotherapie« könnten darauf hindeuten –, wird die Zukunft erweisen<br />

müssen. Diskutiert wird mancherorts aber auch, ob die Versorgungsbedürfnisse<br />

nicht vielleicht besser dadurch befriedigt werden<br />

könnten, dass die Gerontopsychiatrie als Schwerpunkt in einer<br />

integrierten Altersmedizin aufgeht, dass sie zur Psychogeriatrie wird.

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