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"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.

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Toma Tomov <strong>Psychiatrie</strong>-Reform in Osteuropa<br />

konfrontiert. Die ethischen Bedenken beziehen sich insbesondere<br />

darauf, dass psychiatrische <strong>Kranke</strong>nanstalten die Selbstständigkeit<br />

und Individualität psychisch kranker Menschen negativ beeinflussen.<br />

Der wesentliche wirtschaftliche Aspekt, welcher für psychiatrische<br />

Reformen spricht, ist die Tatsache, dass der Einsatz von psychiatrischen<br />

Behandlungsmethoden den individuellen Krankheitsverlauf<br />

positiv beeinflussen kann und somit hierdurch auch ein gesellschaftspolitischer<br />

Beitrag geleistet wird. Öffentliches Interesse für<br />

psychiatrische Reformen zu gewinnen, ist jedoch ein schwieriges<br />

Unterfangen.<br />

Um zu verstehen, warum ethische Fragen von so großer praktischer<br />

Bedeutung sind, erscheint es notwendig, sich vor Augen zu<br />

führen, dass psychisch kranke Menschen, sofern sie von ihrer Gesellschaft<br />

getragen werden, durchaus in weiten Strecken ein selbstständiges<br />

Leben führen können. Nur im Rahmen eines solchen<br />

Weltbildes können Patientinnen und Patienten mithilfe psychosozialer<br />

Rehabilitationsmaßnahmen aus der Abhängigkeit der psychiatrischen<br />

Anstalten heraus wachsen. Die stichhaltige Bedeutung<br />

psychiatrischer Reformen aufzuzeigen ist schwierig, da sowohl die<br />

politische Führung als auch das Wirtschaftsmanagement davon<br />

überzeugt sind, dass sämtliche Gelder, die in das psychiatrische<br />

Gesundheitssystem fließen, keinerlei Rendite bringen. Es ist von<br />

großer Bedeutung, diese Einstellung zu ändern, da ansonsten durch<br />

Stigmatisierung die Randgruppe psychisch kranker Menschen weiterhin<br />

ausgeschlossen bleibt. Oben angesprochene Reformen gestalten<br />

sich auch schwierig, da in Osteuropa rasch und umfangreich<br />

mithilfe internationaler Unterstützung privatisiert wurde. Private<br />

Gesundheitssysteme scheinen jedoch bei der Versorgung chronisch<br />

psychisch kranker Menschen zu versagen. Dies ist die größte Herausforderung<br />

des psychiatrischen Gesundheitswesens und war auch<br />

Auslöser der Reformbewegung. Die psychiatrischen Anstalten im<br />

ehemaligen Ostblock hatten nur bescheidene Mittel zur Verfügung,<br />

um dennoch zu funktionieren, ordneten sie Rechte und Freiheiten<br />

psychisch <strong>Kranke</strong>r einem Zentralismus unter. Die privaten <strong>Kranke</strong>nkassen<br />

weisen zu viele Lücken im Versorgungsnetz auf, somit<br />

rutschen viele Patientinnen und Patienten in die Wohnsitzlosigkeit<br />

und Kriminalität ab. Dies scheint insbesondere vor der Reformbedürftigkeit<br />

des Rechtswesens und der Sozialdienste tragisch.<br />

So erschreckend diese Berichte erscheinen mögen, osteuropäi-<br />

294 295<br />

sche Länder haben kaum die Möglichkeit, diese Umstände zu umgehen.<br />

Sowohl wirtschaftliche Zwänge, als auch die Macht des traditionellen<br />

Gesundheitswesens haben in diesen Ländern bisher<br />

psychiatrische Gesundheitsreformen, so wie diese in der demokratischen<br />

Welt gängig sind, unmöglich gemacht. Während man in<br />

Osteuropa damit beschäftigt ist, ein kostenpflichtiges allgemeines<br />

Gesundheitssystem einzuführen, wird gleichzeitig die Auffassung unterstützt,<br />

dass psychische Gesundheit ein unwichtiges Spezialistenfeld<br />

sei und dass psychiatrische Dienste viel kosten und kaum etwas<br />

einbringen. Diese Denkweise führt dazu, dass Reformen im<br />

Bereich psychischer Gesundheit regelmäßig verschoben werden.<br />

Alternativ werden inselförmige Hilfsangebote für psychisch <strong>Kranke</strong><br />

formuliert, diese decken jedoch nicht den Bereich chronischer<br />

seelischer Erkrankungen ab, da sie nicht auf ein gemeindenahes Versorgungsnetz<br />

setzen.<br />

Insbesondere scheinen die Umstände in den osteuropäischen<br />

Ländern eine umfassende Veränderung des bestehenden psychiatrischen<br />

Gesundheitswesens nicht zuzulassen. Es wäre jedoch sinnvoll,<br />

die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Reformkurs zu bringen und<br />

diese somit auf eine Zeit vorzubereiten, in der ein Wechsel zu einer<br />

gemeindenahen psychiatrischen Versorgungslandschaft möglich ist<br />

(4). Eine solche Entwicklung scheint auch unter den gegebenen unklaren<br />

Wirtschaftsbedingungen vernünftig und vielversprechend. Zum<br />

jetzigen Zeitpunkt sind jedoch die Verantwortlichen im Gesundheitswesen<br />

nicht bereit, innerhalb der osteuropäischen Länder die althergebrachten<br />

psychiatrischen Anstalten gegen ein gemeindenahes <strong>Psychiatrie</strong>versorgungssystem<br />

zu ersetzen. Ein Grund mag darin liegen,<br />

dass gemeindenahe <strong>Psychiatrie</strong> zwar ethisch korrekt ist, aber gleichzeitig<br />

die Schattenseiten der Wirtschaftslage und des gesellschaftlichen<br />

Miteinanders offenbaren würde. Das ungewisse Schicksal psychiatrischer<br />

Gesundheitsreformen in Osteuropa hat viel mit der jüngsten<br />

Vergangenheit dieses <strong>Teil</strong>s der Erde zu tun.<br />

Das Vermächtnis der Vergangenheit: ein schwieriger Bereich<br />

der osteuropäischen <strong>Psychiatrie</strong><br />

Das zwanghafte Streben nach Kontrollmöglichkeiten, welches totalitären<br />

Herrschaftssystemen eigen ist, findet sich auch teilweise in<br />

den Strukturen des psychiatrischen Gesundheitswesens in Osteuropa

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