"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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Suchtkrankenhilfe und medizinische Primärversorgung<br />
Georg Kremer<br />
Die Prävalenz von Problemen mit Suchtmitteln in den Einrichtungen<br />
der medizinischen Primärversorgung ist hoch<br />
Zwei Studien aus Lübeck, die auf inneren und chirurgischen Abteilungen<br />
zweier Allgemeinkrankenhäuser durchgeführt wurden, ermittelten<br />
folgende Prävalenzen: AROLT, DRIESSEN und SCHÜRMANN (1)<br />
9,0 % für Alkoholabhängigkeit und 5,5 % für Alkoholmissbrauch,<br />
JOHN, HAPKE, RUMPF et al. (2) (jedoch nur Altersgruppe 18–64)<br />
12,7 % für Alkoholabhängigkeit und 4,8 % für Alkoholmissbrauch<br />
(zusätzlich 9,7 % Verdachtsfälle). Dabei sind die Ergebnisse der<br />
Studie von JOHN et al. als wesentlich aussagekräftiger einzustufen.<br />
Insbesondere spricht die Tatsache, dass alle Stationen des Allgemeinkrankenhauses<br />
(bis auf die Intensivstation) über einen Zeitraum von<br />
sechs Monaten erfasst wurden, für einen hohen Repräsentativitätsgrad<br />
in Bezug auf die untersuchte Altersgruppe. Aus anderer Sicht<br />
wird die Bedeutung von Alkoholproblemen für das Allgemeinkrankenhaus<br />
eindrucksvoll unterstrichen: Eine Analyse des Medizinischen<br />
Dienstes der Stadt Hamburg zu den psychiatrischen <strong>Kranke</strong>nhausfällen<br />
der <strong>Jahre</strong> 1988 bis 1994 ergab, dass unter den acht<br />
Diagnosen mit dem höchsten Pflegetagvolumen in der inneren<br />
Medizin allein drei aufgeführt werden, die im Zusammenhang mit<br />
Alkoholkonsum stehen: Leberzirrhose, Alkoholabhängigkeit und<br />
Pankreaserkankungen (3).<br />
Auch in der ambulanten medizinischen Versorgung wurden in<br />
den vergangenen <strong>Jahre</strong>n Prävalenzstudien durchgeführt. Die methodisch<br />
aufwändigsten und somit aussagekräftigsten Untersuchungen<br />
von JOHN et al. (2) und LINDEN et al. (4) weisen auf Prävalenzzahlen<br />
für Alkoholabhängigkeit von ca. 5–7 % hin. Aus beiden Untersuchungen<br />
geht hervor, dass dieser Rate für Alkoholabhängigkeit eine<br />
ähnlich hohe Rate für alkoholspezifische Diagnosen »unterhalb« der<br />
Abhängigkeitsschwelle – riskanter und schädlicher Gebrauch – hinzuzuzählen<br />
ist. Diese Daten belegen, dass die Hausarztpraxis als der<br />
quantitativ bedeutsamste Bereich für die Versorgung von Menschen<br />
mit Alkoholproblemen angesehen werden muss.<br />
Suchtkrankenhilfe und medizinische Primärversorgung<br />
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Was den Missbrauch/die Abhängigkeit von Alkohol anbelangt,<br />
übertrifft die Erreichungsquote von Arztpraxen und Allgemeinkrankenhäusern<br />
diejenige der Suchtkrankenhilfe (incl. der <strong>Psychiatrie</strong>)<br />
um ein Vielfaches (vgl. Abb. 1).<br />
Fachberatungsstellen 6 –10 % (incl. ambulante Reha Sucht)<br />
Fachkliniken 1,5 –2 %<br />
Sozialpsychiatrische Dienste 4,5 –5,5 %<br />
Psychiatrische <strong>Kranke</strong>nhäuser/Abteilungen 3,5 –4,5 %<br />
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte 75 –85 %<br />
Allgemeinkrankenhäuser 30 –35 %<br />
Abb. 1: Anteil der institutionellen 1-<strong>Jahre</strong>s-Prävalenz an der Gesamtprävalenz<br />
der Alkoholabhängigen. Quellen: Wienberg G [5], Holz A [6]<br />
Für Drogenmissbrauch und -abhängigkeit liegen leider keine<br />
vergleichbaren Prävalenzzahlen bzw. Daten zu Erreichungsquoten<br />
vor. Man kann allerdings davon ausgehen, dass die Prävalenzzahlen<br />
für die medizinische Basisversorgung niedriger ausfallen und die<br />
Erreichungsquote der traditionellen Suchtkrankenhilfe im Bereich<br />
der illegalen Drogen um einiges höher liegt.<br />
Die Übernahme von suchtspezifischer Behandlungsverantwortung<br />
durch Arztpraxen und Allgemeinkrankenhäuser ist notwendig<br />
Im <strong>Jahre</strong> 1977 veröffentlichten EDWARDS et al. die erste wissenschaftliche<br />
Studie, die sich mit den therapeutischen Effekten kurzer Interventionen<br />
(in diesem Fall »advice« = Ratschlag) bei Patientinnen<br />
und Patienten mit Alkoholproblemen befasste (7). Die Autoren<br />
kamen damals zu dem Schluss, dass kurze Interventionen unter<br />
bestimmten Voraussetzungen ähnlich effektiv sein können wie<br />
wochen- bzw. monatelange Behandlungen.