"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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Michael von Cranach<br />
von ihren Kritikern und Kritikerinnen. Das sollte sich in dieser Form<br />
nicht wiederholen.<br />
Ein weiterer wichtiger Gedanke die Blockierung aufzuheben<br />
wäre es, unsere Aufmerksamkeit, d.h. die Aufmerksamkeit von Abteilungen<br />
und Fachkrankenhäusern auf die wesentlich wichtigeren<br />
Aufgaben zu richten, die es zu lösen gilt. Ich meine damit hauptsächlich<br />
die Überwindung des stationär-ambulanten Grabens. Wir<br />
stehen vor der Aufgabe unsere therapeutischen Angebote mit hohen<br />
professionellen Standards allen Patientinnen und Patienten,<br />
gleichgültig ob sie in einem <strong>Kranke</strong>nhausbett oder im eigenen Bett<br />
schlafen, zugänglich zu machen. Für mich ist eine reine stationäre<br />
psychiatrische Tätigkeit ohne die Möglichkeit, diese auch ambulant<br />
einzusetzen, kaum vorstellbar. Ich glaube, den meisten von uns geht<br />
es ähnlich. Bis auf Baden-Württemberg haben alle Fachkrankenhäuser<br />
Institutsambulanzen, manche <strong>Kranke</strong>nhäuser sehen heute<br />
mehr ambulante als stationäre Patientinnen und Patienten. Lasst uns<br />
doch die Gelegenheit am Schopfe packen und die Tatsache nutzen,<br />
dass demnächst durch die veränderte Gesetzeslage alle Abteilungen<br />
Institutsambulanzen eröffnen werden, um gemeinsam Strategien zu<br />
entwickeln, wie die Ressourcen des <strong>Kranke</strong>nhauses grenzüberschreitend<br />
genutzt werden können. Das wäre ein gemeinsames Projekt!<br />
Weiter sollten wir versuchen die Auseinandersetzung möglichst<br />
nicht in die nächste Psychiaterinnen- und Psychiatergeneration hineinzutragen.<br />
Es macht keinen Sinn, dass wir über Generationen<br />
hinweg abteilungssozialisierte und fachkrankenhaussozialisierte Psychiaterinnen<br />
und Psychiater hervorbringen. Ich erinnere die Zeit,<br />
als die Weiterbildung es erforderlich machte, dass Weiterbildungskandidatinnen<br />
und -kandidaten aus den Universitäten mindestens<br />
ein halbes Jahr lang im Landes- oder Bezirkskrankenhaus tätig sein<br />
mussten. Das war keine schlechte Gepflogenheit. Warum nehmen<br />
wir uns nicht etwas Ähnliches vor, ein Austausch. Ein Jahr Landesbzw.<br />
Fachkrankenhaus für jede/jeden Weiterbildungskandidatin/<br />
-kandidatin. Dazu muss man die Weiterbildungsordnung nicht ändern,<br />
das kann freiwillig im Austausch geschehen. An vielen Orten<br />
in Europa blüht die psychiatrische Landschaft. Ist es nicht an der<br />
Zeit über ein europäisches Austauschprogramm für angehende Fachärztinnen<br />
und -ärzte nachzudenken, perpetuieren wir nicht durch<br />
unseren institutionsbezogenen Weiterbildungsmodus festgefahrene<br />
Ansichten. So weit mir bekannt, sind deutsche Kolleginnen und<br />
26 27<br />
Kollegen in der äußerst aktiven und fantasievollen europäischen<br />
Vereinigung der <strong>Psychiatrie</strong>weiterzubildenden kaum oder gar nicht<br />
vertreten. Schließlich, um damit den Weiterbildungsbereich abzuschließen,<br />
bin ich nach wie vor der Meinung, dass ein Gegenjahr<br />
Innere Medizin mindestens so wertvoll wie das jetzige Pflichtjahr<br />
Neurologie wäre. Nicht nur, weil die Innere Medizin den größten<br />
Anteil an der Komorbidität psychisch kranker Menschen hat, sondern<br />
weil das zur Folge hätte, dass jede Ärztin/jeder Arzt für <strong>Psychiatrie</strong><br />
mindestens ein Jahr im allgemeinen <strong>Kranke</strong>nhaus gearbeitet<br />
hat und damit mit den Allgemeinärztinnen und -ärzten die wichtigste<br />
Struktur der medizinischen Versorgung kennen gelernt hat.<br />
Lassen Sie mich mit einem letzten Gedanken schließen. Ob es<br />
uns gefällt oder nicht; manche von uns tun sich nicht leicht das<br />
anzuerkennen; werden Nutzerinnen und Nutzer in Zukunft eine wesentliche<br />
Rolle in der Definition der Behandlungsziele, der Auswahl<br />
der Behandlungsmethoden und der Gestaltung des Gesundheitssystems<br />
spielen. In manchen europäischen Ländern ist diese Mitbestimmung<br />
weit fortgeschrittener als hier, in Brüssel haben <strong>Psychiatrie</strong>-Erfahrene-Vereinigungen<br />
und Angehörigenverbände wie<br />
beispielsweise EUFAMI einen beachtlichen politischen und gestalterischen<br />
Einfluss. § 26 der neuen Charta der Menschengrundrechte<br />
der europäischen Union macht dies deutlich. Behinderte haben nicht<br />
nur ein Grundrecht auf Integration in die Gesellschaft, sondern auch<br />
auf eigenständige Gestaltung und Leben ihrer Behinderung. Wir<br />
wollten gemeinsam diesen in Deutschland als Trialog bezeichneten<br />
Kontakt vertiefen, europäisch spricht man von dem neuen »zivilen<br />
Dialog«, eine neue Form des demokratischen Miteinanders, wodurch<br />
vieles, worüber wir jetzt streiten, relativiert werden wird.<br />
Literatur<br />
Vom Streit um Spezialisierung und Regionalisierung<br />
BERICHT ÜBER DIE LAGE DER PSYCHIATRIE IN DER BUNDESREPUBLIK<br />
DEUTSCHLAND Bundesdrucksache 7/4200, Bonn, 1975<br />
BUNDESMINISTERIUM FÜR JUGEND, FAMILIE, FAMILIE, FRAUEN UND<br />
GESUNDHEIT. Empfehlungen der Expertenkommission der Bundesregierung<br />
zur Reform der Versorgung im psychiatrischen und psychotherapeutisch-psycho-somatischen<br />
Bereich. Bonn, 1988<br />
SCHEYTT D, KAISER P, PRIEBE S. Behandlungsdauer und Fallkosten in<br />
unterschiedlichen stationären psychiatrischen Einrichtungen in Berlin.<br />
Psychiat. Prax. 23, 1996: 10–14