"25 Jahre Psychiatrie-Enquete" Teil II - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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Ursula Brand Europäische Perspektiven – Aus Sicht der Familien<br />
Bekommen Menschen, die wegen einer schweren, im Kindes- oder<br />
Jugendalter erlittenen Behinderung nicht arbeiten können, eine Rente<br />
oder sind sie auf Sozialhilfe angewiesen?<br />
In der Schweiz und in Norwegen erhalten chronisch <strong>Kranke</strong> eine<br />
Rente, unabhängig davon, ob sie jemals gearbeitet haben. Mit Ausnahme<br />
von Deutschland wird in allen Ländern, die an der Umfrage<br />
teilgenommen haben, eine kleine Rente gezahlt, zusätzlich zu dieser<br />
Rente erhalten chronisch <strong>Kranke</strong> Sozialhilfe. In Spanien erhalten<br />
Menschen mit einer Behinderung von mindestens 33 Prozent<br />
eine sehr kleine Grundrente. Deutschland ist das einzige Land, in<br />
dem Menschen mit schwerer psychischer Behinderung in vielen<br />
Fällen gänzlich auf Sozialhilfe angewiesen sind. Verfügen die Eltern<br />
dagegen über ein bestimmtes Einkommen, müssen Leistungen in<br />
Einrichtungen, die nicht von den <strong>Kranke</strong>nkassen finanziert werden,<br />
von diesen entweder voll- oder mitfinanziert werden, d.h. die Patienten<br />
haben keinen oder nur geringen Anspruch auf staatliche Unterstützung.<br />
Wie stark ist die Zahl von <strong>Kranke</strong>nhausbetten reduziert worden?<br />
Mit Ausnahme von Spanien ist in allen Ländern, die an der Fragebogenaktion<br />
teilgenommen haben, die Zahl der <strong>Kranke</strong>nhausbetten<br />
drastisch reduziert worden, in Deutschland zum Beispiel bis zu 50<br />
Prozent, in anderen Ländern sogar noch mehr.<br />
Verfügen Allgemeinkrankenhäuser über psychiatrische Stationen?<br />
Die Antworten lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: In<br />
Allgemeinkrankenhäusern gibt es für psychisch <strong>Kranke</strong> nicht genügend<br />
Betten. Der Aufbau von psychiatrischen Stationen ist im Allgemeinen<br />
unbefriedigend, in manchen Regionen gibt es überhaupt<br />
keine. Wie üblich bestehen zwischen Groß- und Kleinstädten gravierende<br />
Unterschiede. In den meisten europäischen Ländern sind<br />
die Familien mit diesen Verhältnissen unzufrieden. Persönlichen<br />
Kontakten mit italienischen Familien ist zu entnehmen, dass diese<br />
mit dem enormen Abbau von <strong>Kranke</strong>nhausbetten in ihrem Land<br />
überhaupt nicht einverstanden sind.<br />
Sind Gemeindeeinrichtungen (z.B. Tagesstätten, Rehabilitationszentren,<br />
betreutes Wohnen)<br />
a) akzeptabel in Bezug auf Quantität, Qualität und geografische<br />
Entfernung?<br />
268 269<br />
Vergleicht man die Länder miteinander sowie Groß- mit Kleinstädten,<br />
ergeben sich gewaltige Unterschiede. Auf jeden Fall gibt es nicht<br />
genügend Tageskliniken, und es fehlt an guten Rehabilitationsprogrammen.<br />
Sowohl die geringe Anzahl als auch die Qualität der verschiedenen<br />
Einrichtungen wurden in allen Ländern als inakzeptabel<br />
beschrieben. In den meisten Ländern wurde die geografische<br />
Entfernung als bedenklich beurteilt. Anscheinend ist das Ziel einer<br />
adäquaten, den individuellen Bedürfnissen entsprechenden Versorgung<br />
im Umfeld des jeweiligen Patienten in den meisten Fällen nicht<br />
erreicht. Die meisten Gemeinden verfügen nicht über ausreichende<br />
Möglichkeiten, Menschen mit einer chronisch psychischen Erkrankung<br />
angemessen zu integrieren.<br />
b) Ist die Organisation der Versorgungseinrichtungen für Familien<br />
verständlich?<br />
Alle Länder, die an der Fragebogenaktion teilnahmen, beklagten eine<br />
mangelnde Information. Viele Familien wissen nicht einmal, welche<br />
Dienstleistungen überhaupt angeboten werden. Aus einer 1995 im<br />
Vereinigten Königreich (Schottland) durchgeführten Umfrage wird<br />
dieser Mangel klar ersichtlich, und die NSF (Scottish Family Association)<br />
vermutet, dass er bis heute nicht behoben ist.<br />
c) Ist die Zusammenarbeit der verschiedenen Einrichtungen<br />
angemessen?<br />
In allen Ländern wurde kritisiert, dass die Zusammenarbeit zwischen<br />
den einzelnen Einrichtungen mangelhaft ist. Hier einige Zitate: »Eigentlich<br />
nicht. Die systematischen Bemühungen um Information<br />
von und Kooperation mit Familien sind außerordentlich dürftig.« –<br />
»Nein, die Verantwortlichkeiten örtlicher Sozialdienste und örtlicher<br />
Gesundheitsdienste sind ziemlich nebulös.« – »Nein, im Allgemeinen<br />
ist die Kommunikation schlecht. Jede Einrichtung, jeder Träger<br />
entwickelt eine eigene Verfahrensweisen, ohne jede Koordination.«