Untitled - Fachbereich Sprachwissenschaft
Untitled - Fachbereich Sprachwissenschaft
Untitled - Fachbereich Sprachwissenschaft
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
4. Verb-Zweit-Stellungswandel als Parameterwechsel<br />
Der Überblick über die Forschung zur diachronen Entwicklung der Verbstellung im Französischen<br />
und in anderen romanischen Sprachen hat gezeigt, dass eine der zentralen Annahmen<br />
der generativen Arbeiten darin besteht, dass sich das Französische aus einer ursprünglichen<br />
Verb-Zweit-Sprache zu einer Nicht-Verb-Zweit-Sprache entwickelt hat. Diese Annahme<br />
steht im Einklang mit zahlreichen Untersuchungen der traditionellen Romanistik, in<br />
denen – häufig unter Hinweis auf die Parallelen zum Deutschen – eine ähnliche Ansicht<br />
vertreten wird. In einigen – traditionellen wie generativen – Untersuchungen wird auch für<br />
andere romanische Sprachen angenommen, dass sie ursprünglich durch die Verb-Zweit-<br />
Stellungseigenschaft charakterisiert waren, die später – möglicherweise zu einem früheren<br />
Zeitpunkt als im Französischen – verloren gegangen ist. Der Forschungsüberblick hat auch<br />
deutlich gemacht, dass sehr unterschiedliche Auffassungen über die möglichen Gründe, die<br />
zu einem solchen Sprachwandel geführt haben, existieren. Während in den traditionellen<br />
Untersuchungen vorwiegend externe Gründe angeführt werden, wird in den generativen<br />
Arbeiten primär versucht, interne Veränderungen der Sprachen für den Wandel der Stellung<br />
des finiten Verbs verantwortlich zu machen. Allerdings kommen auch die generativen<br />
Studien nicht umhin, den Einfluss externer Faktoren für das Eintreten interner Veränderungen<br />
anzunehmen:<br />
Irrespective of the validity and usefulness of D[iachronic] R[eanalyse]s, I have not yet seen a persuasive<br />
argument for a change motivated entirely by internal factors, by economy or another element<br />
of UG. It seems to me to be axiomatic that there can be no change in grammars without<br />
change in trigger experiences. (Lightfoot 1997b:269)<br />
Die primäre Aufgabe der generativen diachronen <strong>Sprachwissenschaft</strong> muss dennoch darin<br />
gesehen werden, zunächst interne Faktoren und Zusammenhänge von Sprachwandel aufzudecken<br />
und erst in einem zweiten Schritt nach externen Faktoren zu suchen. Ihr genuiner<br />
Beitrag zur Erforschung der Verbstellungsentwicklung in den romanischen Sprachen besteht<br />
darin, auf der Grundlage eines expliziten Grammatikmodells zur synchronen Beschreibung<br />
der Verb-Zweit-Stellung in den germanischen Sprachen die Verbstellung in den<br />
altromanischen Sprachen zu erfassen und deren Unterschiede zu den modernen romanischen<br />
Sprachen herauszuarbeiten. Wie bereits ausführlich gezeigt, wird in diesem Grammatikmodell<br />
angenommen, dass es sich bei der strengen Verb-Zweit-Stellung, wie sie in<br />
den germanischen Sprachen und dem Rätoromanischen beobachtet werden kann, um eine<br />
parametrisierte Eigenschaft handelt. Der Unterschied zwischen Verb-Zweit-Sprachen und<br />
Nicht-Verb-Zweit-Sprachen wird also darin gesehen, dass der angenommene Verb-Zweit-<br />
Parameter jeweils auf einen unterschiedlichen Wert festgelegt ist. Die Annahme eines<br />
solchen Parameters wird empirisch unter anderem damit begründet, dass Kinder, deren<br />
Muttersprache die strenge Verb-Zweit-Stellungseigenschaft besitzt, diese Eigenschaft innerhalb<br />
sehr kurzer Zeit und nahezu fehlerfei erwerben. Dies kann dadurch erklärt werden,<br />
dass die Kinder lediglich den entsprechenden Parameterwert fixieren müssen und damit die<br />
Verb-Zweit-Stellungsregeln erwerben, ohne sie im Einzelnen erlernen zu müssen. Der<br />
Erwerb der Verb-Zweit-Stellungseigenschaft ist demnach als ein besonderer Erwerbsprozess,<br />
der sich grundlegend von anderen Lernprozessen unterscheidet. Auf der Grundlage