Untitled - Fachbereich Sprachwissenschaft
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5. Verbstellungswandel in den romanischen Sprachen.<br />
Eine empirische Untersuchung<br />
5.1 Die Datenbasis<br />
Ziel der vorliegenden empirischen Untersuchung ist es, die Adäquatheit der Annahme zu<br />
überprüfen, wonach die romanischen Sprachen ursprünglich Verb-Zweit-Sprachen gewesen<br />
sind und demzufolge der Wandel der Stellung des finiten Verbs in diesen Sprachen als das<br />
Ergebnis eines Parameterwechsels aufzufassen ist. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung<br />
steht das Französische, da es diejenige romanische Sprache ist, die am ausgeprägtesten<br />
Verb-Zweit-Effekte aufgewiesen und diesbezüglich die größten Veränderungen erfahren<br />
hat. Im Vergleich dazu werden außerdem das Spanische und Portugiesische sowie das<br />
Bündnerromanische untersucht. Grundlage der Untersuchung bilden Übersetzungen von<br />
sieben Kapiteln der alttestamentlichen Bücher Samuel. Der Grund für die Auswahl dieser<br />
Bibeltexte als Datenbasis liegt darin, dass mit den so genannten Quatre livre des Reis eine<br />
altfranzösische Übersetzung der Bücher Samuel (sowie der Bücher der Könige) existiert.<br />
Diese Übersetzung, die mit sehr großer Wahrscheinlichkeit vorwiegend auf der Vulgata<br />
(= vul), der zwischen 383 und 405 n. Chr. durch den lateinischen Kirchenlehrer Hieronymus<br />
angefertigten lateinischen Bibelübersetzung, basiert, ist in vier Manuskripten erhalten,<br />
die in verschiedenen Regionen entstanden sind. Die erste – vermutlich in England angefertigte<br />
– Übersetzung stammt etwa aus dem Jahre 1170, die anderen Manuskripte sind etwas<br />
später in Frankreich erstellt worden. Eine auf dem ältesten Manuskript basierende kritische<br />
Edition wurde im Jahre 1911 von E.R. Curtius angefertigt (= qlr). Sie ist mit einem sehr<br />
ausführlichen einleitenden Kommentar versehen, der viele, auch für eine linguistische<br />
Analyse hilfreiche Anmerkungen über Aufbau und Besonderheiten des Textes und der<br />
einzelnen Manuskripte enthält (Curtius 1911). 1<br />
Nach Ansicht von Curtius (1911:LXXI) dürfen die Quatre livre des Reis, "obwohl auf<br />
lateinischen Grundlagen beruhend, als das erste selbständige Werk französischer Prosa<br />
angesehen werden" (cf. auch Haarhoff 1936:44, Herman 1954:260f., Stempel 1975). Sie<br />
unterscheiden sich deutlich von allen anderen früheren altfranzösischen Prosatexten, wie<br />
dem Fragment de Valenciennes (Jonasfragment, 1. Hälfte des 10. Jhdts.) oder den Versions<br />
des Psaumes (Psalterhandschriften, ca. 1. Drittel des 12. Jhdts.), die sich durch eine sehr<br />
enge sprachliche Anlehnung an den übersetzten lateinischen Text auszeichnen. Demgegenüber<br />
handelt es sich bei den Quatre livre des Reis um eine sehr freie und sprachlich vom<br />
Original unabhängige Übersetzung. Der Text geht sogar über eine Übersetzung hinaus, da<br />
er zusätzliche erklärende Kommentare enthält und teilweise den Originaltext in veränderter<br />
Form wiedergibt. Insbesondere was die Stellung des finiten Verbs betrifft, ist der Text, wie<br />
Herman (1954:261) in seiner, bereits diskutierten, detaillierten Wortstellungsanalyse der<br />
1 Nach Ansicht von Stempel (1975:358) handelt sich hierbei um "[d]as Beste, was zur Charakterisie-<br />
rung der Quatre livres des Rois (QldR) gesagt wurde".