Untitled - Fachbereich Sprachwissenschaft

146
5.2.3 Verlust der Verb-Zweit-Stellungseigenschaft im Französischen?
Im Folgenden soll die Entwicklung der Stellung des finiten Verbs im Französischen empirisch
untersucht und der Frage nachgegangen werden, inwiefern Evidenzen vorliegen, die
für den Verlust einer möglichen Verb-Zweit-Stellungseigenschaft des Französischen und
damit für ein entsprechendes Umfixieren des Verb-Zweit-Parameters sprechen. Grundlage
für diese Untersuchung liefern neben dem altfranzösischen qlr-Text vier weitere französische
Bibelübersetzungen aus verschiedenen Epochen, und zwar aus der mittelfranzösischen
sowie jeweils aus der frühen, klassischen und modernen neufranzösischen Zeit. 10
Die folgende Tabelle enthält die Auswertungsergebnisse der Stellung des finiten Verbs
in allen Matrixsätzen mit lexikalischem Subjekt in dem jeweiligen Bibelabschnitt. Zur
besseren Vergleichbarkeit sind die Ergebnisse der Auswertung des altfranzösischen qlr-
Textes in dieser Tabelle ebenfalls mit aufgeführt:
Text V1 V2 V>2 gesamt
Subj V Obj V Präp V PE V Adv V "X"V Satz V
qlr abs. 35 196 1 9 2 23 3 0 33 302
(afr.)
% 11.6 64.9 0.3 3.0 0.6 7.7 1.0 0.0 10.9 100.0
reg abs. 8 259 7 10 0 94 0 0 36 414
(mfr.)
% 1.9 62.6 1.7 2.4 0.0 22.7 0.0 0.0 8.7 100.0
hon abs. 8 307 0 1 0 13 1 0 108 438
(nfr.)
% 1.9 70.0 0.0 0.2 0.0 3.0 0.2 0.0 24.7 100.0
mar abs. 0 405 0 0 0 4 0 0 97 506
(nfr.)
% 0.0 80,0 0.0 0.0 0.0 0.8 0.0 0.0 19.2 100.0
caq abs. 1 450 0 1 0 7 0 0 78 537
(nfr.)
% 0.2 83.8 0.0 0.2 0.0 1.3 0.0 0.0 14.5 100.0
Tabelle (10): Anteil der Verbstellungsmuster aller deklarativen Matrixsätze mit realisiertem Subjekt
Die Auswertung der Daten bestätigt die in allen Untersuchungen zur Entwicklung der
Verbstellung im Französischen gemachte Beobachtung, wonach sich die Stellung des fini-
10 Ausgelöst durch die Reformation und ermöglicht durch die Erfindung des Buchdruckes sind ab
dem frühen 16. Jhdt. zahlreiche Bibelübersetzungen entstanden, die bis heute gut erhalten sind.
Somit stehen ab dem frühesten Neufranzösischen für eine historisch-vergleichende Untersuchung
eine große Anzahl von Bibeltexten zur Verfügung. Schwieriger ist es, geeignete Bibeltexte aus der
mittelfranzösischen Epoche (1300-1500) zu finden, da die Bibelübersetzungen aus dieser Zeit
meist nur als Manuskripte vorliegen und schwer zugänglich sind. Aus diesem Grund habe ich auf
die älteste mir zugängliche gedruckte Bibelübersetzung zurückgegriffen, die aus dem Jahre 1520
stammt (= reg). Obwohl das Druckdatum dieser Bibel damit in der neufranzösischen Epoche liegt,
kann sie noch dem Mittelfranzösischen zugerechnet werden. Darauf deutet zum einen die Tatsache
hin, dass die von mir konsultierte Buchausgabe eine handschriftliche Notiz enthält, die besagt,
dass die Übersetzung im Jahre 1494 im Auftrag des französischen Königs Charles VIII. (1470-
1498) angefertigt wurde. Zum anderen rechtfertigen die sprachlichen Besonderheiten dieses Textes
dessen Einordnung in die mittelfranzösische Epoche.