Untitled - Fachbereich Sprachwissenschaft
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auf die Wortstellung im Satz hat. Insofern ist die Wortstellung "frei" (Lerch 1934:249). Es<br />
wird allerdings angenommen, dass bestimmte Faktoren im Laufe der geschichtlichen Entwicklung<br />
einer Sprache eine dermaßen dominierende Bedeutung erfahren, dass diese Entscheidungsfreiheit<br />
des Sprechers immer stärker eingeschränkt wird. Für das Neufranzösische<br />
wird im Allgemeinen postuliert, dass die 'logisch-grammatischen' Faktoren diese dominierende<br />
Funktion übernommen haben, während im Altfranzösischen die 'psychologischen'<br />
und 'rhythmischen' Faktoren im Vordergrund gestanden haben. Abgesehen von diesen<br />
Faktoren ist noch eine Vielzahl anderer Faktoren, und damit unterschiedlicher Wortstellungstypen,<br />
vorgeschlagen worden. Die Unterscheidung zwischen diesen Faktoren ist jedoch<br />
sehr subtil und häufig letztendlich nur terminologischer Natur. Daher sollen hier lediglich<br />
die drei als zentral angesehenen Faktoren, d.h. die psychologischen, rhythmischen<br />
und logisch-grammatischen Faktoren, eingehender dargestellt werden. Darüber hinaus müssen<br />
die morphosyntaktischen Faktoren betrachtet werden.<br />
3.3.3.1 Psychologische Faktoren<br />
Hinsichtlich der psychologischen Faktoren wird danach unterschieden, ob die Anordnung<br />
der Satzglieder am "Sprechbedürfnis" des Sprechers orientiert ist oder nicht (Richter<br />
1920:11). Ist ersteres der Fall, wird von einer 'impulsiven' Wortstellung gesprochen. Sie ist<br />
dadurch gekennzeichnet, dass der Sprecher die eigentliche Mitteilung, also das Wichtigste<br />
und Neue 17 , an den Satzanfang stellt. Diese Art der Wortstellung wird als "rücksichtslose"<br />
oder "persönliche" angesehen (Richter 1920:17), weil der Sprecher, das, was "ihn am stärksten<br />
beherrscht und bedrängt [...], zuerst herausschleuder[t], gleichsam mit der Tür ins Haus<br />
[fällt]" (Lerch 1934:252). Ein weniger impulsiver Sprecher hingegen verhält sich dem Hörer<br />
gegenüber "rücksichtsvoll", sogar auch dann, wenn er im Affekt spricht. Er denkt in<br />
erster Linie an den Hörer, indem er an das im Gespräch Vorhergehende anknüpft und das<br />
dem Hörer bereits Bekannte zuerst nennt, bevor er ihm das Neue, das "sachlich Wichtigste"<br />
mitteilt (Richter 1920:18).<br />
Ausgehend von dieser Definition weisen nach Lerch (1934:253ff.) das Lateinische und<br />
das (frühe) Altfranzösische eine stärkere impulsive Wortstellung auf als das moderne Französisch.<br />
Im Altfranzösischen wird dies seiner Ansicht nach deutlich an der noch häufig<br />
anzutreffenden Genitiv- und Dativvoranstellung und vor allem an der Objekt-Verb-Stellung.<br />
Auch die in den ältesten altfranzösischen Dichtungen noch vorhandene Verb-Endstellung<br />
sei als die implusive und volkstümliche anzusehen. Evidenz hierfür sieht Lerch<br />
(1934:262) darin, dass in der Kindersprache die Verb-Endstellung "das Übliche (z.B. Papa<br />
Hund haut)" ist und daher "der Denk- und Sprechweise des schlichten Mannes" eher entspricht.<br />
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17 Dies entspricht weitgehend dem, was in der funktionalen Grammatik 'Rhema' genannt wird. In der<br />
traditionellen <strong>Sprachwissenschaft</strong> werden hierfür sehr verschiedene, mehr oder weniger umstrittene<br />
Termini gebraucht. Paul (1920:124f.) beispielsweise spricht – in Anlehnung an von der Gabelentz<br />
(1869) – von 'psychologischem Subjekt' und Lerch (1934:253) vom 'Start' bzw. 'Ausgangspunkt<br />
der Mitteilung' (cf. auch Kuttner 1929:5).<br />
18 Lerch übersieht hier allerdings völlig, dass die Verbendstellung ein typisches Kennzeichen der<br />
deutschen Kindersprache ist, nicht aber der französischen oder der anderer romanischer Sprachen.<br />
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