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Jugendgewalt und Jugenddelinquenz in Hannover. Aktuelle Befund

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7. Stadtteile als Kontexte del<strong>in</strong>quenten Verhaltens<br />

7.1. Theoretische Überlegungen<br />

Die krim<strong>in</strong>ologische Forschung beschäftigt sich bereits seit Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts mit<br />

der Frage der sozialräumlichen Verteilung von del<strong>in</strong>quentem Verhalten (Park et al. 1926;<br />

Shaw/McKay 1942, 1969). Ausgangspunkt für diese Untersuchungen bildete der <strong>in</strong> Folge der<br />

Industriellen Revolution e<strong>in</strong>setzende Urbanisierungsschub sowie das damit verb<strong>und</strong>ene starke<br />

Wachstum der städtischen Bevölkerung, das durch die Zuwanderung unterschiedlichster ethnischer,<br />

kultureller <strong>und</strong> religiöser Gruppen ausgelöst wurde. Basierend auf anomietheoretischen<br />

Überlegungen von Durkheim wurde der Frage nachgegangen, ob die sozialstrukturelle<br />

Zusammensetzung der Bevölkerung möglicherweise e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf die Verteilung der<br />

Krim<strong>in</strong>alität hat. Anomie wird, wie bereits <strong>in</strong> Kapitel 4.4. erläutert, def<strong>in</strong>iert als Zustand mangelnder<br />

gesellschaftlicher Regulierung menschlichen Verhaltens, der <strong>in</strong> Zeiten großer wirtschaftlicher<br />

Veränderungen auftreten kann <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schwächung des Kollektivbewusstse<strong>in</strong>s,<br />

also der allgeme<strong>in</strong> geteilten moralischen Überzeugungen <strong>und</strong> Handlungsmaximen<br />

äußert, was wiederum zum Auftreten abweichender Verhaltensweisen führen kann (Durkheim<br />

1995). Die Zuwanderung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

<strong>in</strong> die USA gab zu der Vermutung Anlass, dass sich aufgr<strong>und</strong> der Verschiedenheit dieser<br />

Gruppen kaum soziale B<strong>in</strong>dungen untere<strong>in</strong>ander etablieren konnten <strong>und</strong> dass durch die Pluralisierung<br />

von Werten <strong>und</strong> Normen die Sicherheit über Inhalt <strong>und</strong> Ausmaß der Normgeltung<br />

verloren geht. Diese Entwicklungen waren <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> den Großstädten zu beobachten.<br />

Um die Frage des E<strong>in</strong>flusses der sozialräumlichen Umwelt auf das del<strong>in</strong>quente Verhalten zu<br />

untersuchen, dokumentierten Shaw <strong>und</strong> McKay (1942, 1969) über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum<br />

h<strong>in</strong>weg die Wohnorte von männlichen, jugendlichen Del<strong>in</strong>quenten, die entweder Kontakt zur<br />

Polizei, zu e<strong>in</strong>em Gericht oder zu e<strong>in</strong>er Erziehungsanstalt hatten <strong>und</strong> hielten diese auf Stadtplänen<br />

fest. Dabei konnten sie mit zunehmender Entfernung vom Stadtkern e<strong>in</strong>e deutliche<br />

Veränderung im Ausmaß der registrierten Jugendkrim<strong>in</strong>alität feststellen: Es zeigte sich „a<br />

regular decrease <strong>in</strong> the level of juvenile del<strong>in</strong>quency as one moved outward from the center of<br />

the city“ (Lersch 2004, S. 40). Auf der Suche nach Antworten für diese nach Sozialräumen<br />

variierende Krim<strong>in</strong>alitätsbelastung wurden zusätzliche Informationen über andere soziale<br />

Probleme (z.B. Arbeitslosigkeit, K<strong>in</strong>dersterblichkeit) sowie weitere Stadtteilmerkmale (z.B.<br />

Zu- <strong>und</strong> Fortzüge, ethnische Heterogenität, Armutsquote) gesammelt. Auch hier zeigte sich,<br />

dass die Lebensbed<strong>in</strong>gungen umso besser wurden, je größer die Distanz von der Stadtmitte<br />

wurde. E<strong>in</strong> weiterer <strong>in</strong>teressanter Aspekt der Untersuchung war, dass sich trotz kont<strong>in</strong>uierlicher<br />

Veränderung der ethnischen Zusammensetzung <strong>in</strong>sbesondere der <strong>in</strong>neren Zone deren<br />

Krim<strong>in</strong>alitätsrate kaum veränderte, was zu der Schlussfolgerung führte, „that a boy’s <strong>in</strong>volvement<br />

<strong>in</strong> del<strong>in</strong>quency did not depend on who the boy was (or which racial or ethnic group he<br />

belonged to) but where he lived <strong>in</strong> the city“ (Lersch 2004, S. 44). Auf Basis dieser auf Aggregatebene<br />

gef<strong>und</strong>enen Beziehungen zwischen den sozio-ökonomischen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> der<br />

Krim<strong>in</strong>alitätsrate von Stadtteilen folgerten Shaw <strong>und</strong> McKay, dass die Stadtgebiete mit besseren<br />

Lebensbed<strong>in</strong>gungen sche<strong>in</strong>bar durch e<strong>in</strong> größeres Kollektivbewusstse<strong>in</strong> gekennzeichnet<br />

s<strong>in</strong>d. Gesetzeskonforme Normen <strong>und</strong> Werte werden hier <strong>in</strong> stärkerem Maße befürwortet, Erwachsene<br />

fungieren als Rollenmodelle für K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche. Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong>-<br />

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