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Jugendgewalt und Jugenddelinquenz in Hannover. Aktuelle Befund

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Jugendlichen, die neben den polnischen Jugendlichen am häufigsten von e<strong>in</strong>er solchen Diagnose<br />

berichten. Möglicherweise gibt es tatsächlich e<strong>in</strong>e erhöhte Vulnerabilität deutscher <strong>und</strong><br />

polnischer K<strong>in</strong>der für dieses Krankheitsbild; wahrsche<strong>in</strong>licher ist aber, dass bei deutschen <strong>und</strong><br />

polnischen Eltern die Sensibilität für diese Problematik erhöht ist <strong>und</strong> Ärzten mehr Chancen<br />

e<strong>in</strong>geräumt werden, die Auffälligkeiten zu diagnostizieren <strong>und</strong> zu behandeln. Sowohl für das<br />

Sitzenbleiben als auch für die ADHS-Diagnose ergeben sich empirische Beziehungen mit der<br />

Del<strong>in</strong>quenzbereitschaft; sitzengebliebene Jugendliche <strong>und</strong> Jugendliche mit ADHS-Diagnose<br />

treten häufiger als Täter der sechs Delikte <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, wobei die Zusammenhänge mit<br />

Gewalttaten <strong>und</strong> Sachbeschädigungen enger s<strong>in</strong>d als mit sozialem Mobb<strong>in</strong>g.<br />

4.3. Fre<strong>und</strong>esgruppe <strong>und</strong> Freizeit<br />

4.3.1. Struktur der Fre<strong>und</strong>esgruppe<br />

Die Jugendphase ist e<strong>in</strong>e Phase des Übergangs, <strong>in</strong> der von den Jugendlichen umfangreiche<br />

Qualifizierungsleistungen erwartet werden. Die Entstehung der Jugendphase fällt mit der Industrialisierung<br />

<strong>und</strong> dem Aufkommen von Berufsbildern zusammen, die e<strong>in</strong>e Vorbereitung<br />

im S<strong>in</strong>ne der Aneignung von spezifischen Wissensbeständen <strong>und</strong> Fertigkeiten voraussetzen<br />

(Tully 2003). Die Freisetzung von der Verantwortung, den eigenen Lebensunterhalt selbst zu<br />

verdienen, hat zugleich dazu geführt, dass Jugend nicht nur e<strong>in</strong> Übergang, sondern auch e<strong>in</strong><br />

Moratorium ist (Re<strong>in</strong>ders 2003). Wesentliche Entwicklungsaufgabe während dieser Eigenzeit<br />

ist der Aufbau e<strong>in</strong>er persönlichen Identität. Die Identität wird <strong>in</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der<br />

Umwelt generiert, das Elternhaus spielt dabei e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. Jugendliche s<strong>in</strong>d aber zugleich<br />

bestrebt, sich vom Elternhaus abzulösen <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> Gruppen von Altersgleichen<br />

(Peers) zu <strong>in</strong>tegrieren. Die oftmals von Jugendgruppen besetzten öffentlichen Orte s<strong>in</strong>d sichtbarer<br />

Ausweis für dieses Motiv.<br />

Die krim<strong>in</strong>ologische Forschung zu den Bed<strong>in</strong>gungsfaktoren von del<strong>in</strong>quentem Verhalten im<br />

Jugendalter hat den Stellenwert der Fre<strong>und</strong>e bereits recht früh erkannt. Die Theorie der differenziellen<br />

Assoziation (Sutherland 1968) vermutet, dass jede Form des Verhaltens, d.h. auch<br />

das del<strong>in</strong>quente Verhalten, <strong>in</strong> Interaktion mit Anderen gelernt wird. Beobachtet e<strong>in</strong> Jugendlicher<br />

andere Personen dabei, wie sie sich del<strong>in</strong>quent verhalten <strong>und</strong> dass dieses Verhalten erfolgreich<br />

ist, dann erhöht dies se<strong>in</strong>e Bereitschaft, sich selbst entsprechend zu verhalten. Der<br />

Bef<strong>und</strong>, dass die Bekanntschaft mit del<strong>in</strong>quenten Fre<strong>und</strong>en nachweisbar die eigene Del<strong>in</strong>quenzbereitschaft<br />

erhöht, gehört mittlerweile zu e<strong>in</strong>em der am besten gesicherten Bef<strong>und</strong>e der<br />

empirischen Forschung (Baier/Wetzels 2006). Allerd<strong>in</strong>gs besteht noch Forschungsbedarf dah<strong>in</strong>gehend,<br />

ob die Bekanntschaft Ursache oder Folge von Del<strong>in</strong>quenz ist, ob also besonders<br />

del<strong>in</strong>quente Jugendliche häufiger Anschluss an del<strong>in</strong>quente Cliquen f<strong>in</strong>den (Selektionsthese)<br />

oder ob die gruppendynamischen Prozesse <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er solchen Clique auch e<strong>in</strong>en vorher<br />

unauffälligen Jugendlichen zur Ausübung illegaler Aktivitäten motivieren können (Ermöglichungsthese).<br />

E<strong>in</strong>e kürzlich abgeschlossene Längsschnittstudie <strong>in</strong> den USA spricht für die<br />

letztere These (Thornberry et al. 2003), e<strong>in</strong>e skand<strong>in</strong>avische Studie h<strong>in</strong>gegen sowohl für die<br />

Ermöglichungs- als auch die Selektionshypothese (Bendixen et al. 2006).<br />

Die Daten der <strong>Hannover</strong>-Befragung können die Kontroverse über Ursache- <strong>und</strong> Wirkungs-<br />

Beziehungen nicht weiter aufklären, da es sich nur um e<strong>in</strong>e Querschnittsbefragung handelt.<br />

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