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Jugendgewalt und Jugenddelinquenz in Hannover. Aktuelle Befund

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Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d die Annahmen der Theorie der sozialen Desorganisation <strong>in</strong> ihrer ursprünglichen<br />

Form weitestgehend theoretischer Natur, d.h. es wurden zunächst nur Beziehungen<br />

zwischen den objektiv messbaren Merkmalen von Stadtvierteln (wie der Armutsquote<br />

oder der ethnischen Heterogenität) <strong>und</strong> der Krim<strong>in</strong>alitätsrate untersucht. Die Vermutung, dass<br />

diese Raten mit als kulturell zu bezeichnenden Faktoren (soziale B<strong>in</strong>dung, soziale Kontrolle,<br />

Interventionsbereitschaft) <strong>in</strong> Beziehung stehen, wurde zunächst ke<strong>in</strong>er empirischen Prüfung<br />

unterzogen.<br />

Die Annahme, dass Stadtteile im Verursachungsprozess del<strong>in</strong>quenten Verhaltens e<strong>in</strong>e Rolle<br />

spielen, blieb <strong>in</strong> der krim<strong>in</strong>ologischen Literatur danach lange Zeit unberücksichtigt. Erst die<br />

Arbeiten von Kornhauser (1978), Wilson (1987) <strong>und</strong> Sampson <strong>und</strong> Groves (1989) rückten<br />

diese Perspektive wieder <strong>in</strong> den Fokus der Aufmerksamkeit. In der Folge wurden zahlreiche<br />

empirische Untersuchungen durchgeführt, die sich neben der Replikation der Bef<strong>und</strong>e von<br />

Shaw <strong>und</strong> McKay vornehmlich sowohl theoretisch als auch empirisch mit der Frage beschäftigten,<br />

welche sozialen Mechanismen <strong>und</strong> Faktoren für die Beziehung zwischen objektiven<br />

Stadtteilmerkmalen <strong>und</strong> del<strong>in</strong>quentem Verhalten von K<strong>in</strong>dern oder Jugendlichen verantwortlich<br />

s<strong>in</strong>d (vgl. u.a. Beyers et al. 2003, Cantillon 2006, Chung/Ste<strong>in</strong>berg 2006, Elliott et al.<br />

1996, Lauritsen 2001, McNulty/Bellair 2003, Oberwittler 2004, Peeples/Loeber 1994, Sampson/Raudenbush/Earls<br />

1997, Simcha-Fagan/Schwartz 1986, van Wilsem/Wittebrood/de Graaf<br />

2006).<br />

Im Vordergr<strong>und</strong> stand vor allem die Frage, wodurch benachteiligte Stadtteile im Vergleich zu<br />

nicht benachteiligten Stadtteilen gekennzeichnet s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> <strong>in</strong>wieweit diese auch mit Del<strong>in</strong>quenz<br />

<strong>in</strong> Beziehung stehen. Die empirischen Bef<strong>und</strong>e <strong>und</strong> theoretischen Ergänzungen der<br />

Theorie der sozialen Desorganisation lassen sich im Wesentlichen <strong>in</strong> zwei Modellen zusammenfassen:<br />

das Modell kollektiver Sozialisation <strong>und</strong> das Ansteckungsmodell (vgl.<br />

Jencks/Mayer 1990). Das Modell kollektiver Sozialisation („collective socialisation model“)<br />

fokussiert die Rolle der Erwachsenen im Stadtteil, die e<strong>in</strong>erseits als Verhaltensvorbilder dienen,<br />

an denen sich im eigenen Verhalten orientiert wird, andererseits auch Instanzen der sozialen<br />

Kontrolle darstellen, d.h. Fehlverhalten von K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Jugendlichen entdecken <strong>und</strong><br />

sanktionieren – oder dies aber nicht tun. Erwachsene, die positive Vorbilder darstellen <strong>und</strong><br />

auch die Aufgabe der Kontrolle wahrnehmen, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> wohlhabenderen Stadtteilen häufiger zu<br />

f<strong>in</strong>den als <strong>in</strong> benachteiligten Gebieten. Auf diese Überlegungen aufbauend entwickelten<br />

Sampson, Raudenbush <strong>und</strong> Earls (1997) das Konzept der „collective efficacy“, welches sich<br />

auf die Fähigkeit e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft (z.B. der Stadtviertelbewohner) bezieht, geme<strong>in</strong>same<br />

Werte zu etablieren <strong>und</strong> diese durch e<strong>in</strong>e effektive Sozialkontrolle aufrechtzuerhalten. Dieses<br />

Stadtteilmerkmal vermittelt <strong>in</strong> hohem Maße die Beziehung zwischen sozialer Benachteiligung<br />

im Stadtteil <strong>und</strong> del<strong>in</strong>quentem Verhalten.<br />

Das Ansteckungsmodell („contagion or epidemic model“) betont demgegenüber den E<strong>in</strong>fluss<br />

der Gleichaltrigen im Stadtteil. Gr<strong>und</strong>annahme ist, dass e<strong>in</strong>e bestimmte Verhaltensweise, die<br />

unter Jugendlichen im Stadtteil verbreitet ist, sich auf andere <strong>in</strong> diesem Stadtteil lebende Jugendliche<br />

übertragen kann. Die Tatsache, dass <strong>in</strong> benachteiligten Stadtteilen mehr del<strong>in</strong>quente<br />

Jugendliche leben, führt dazu, dass auch das Risiko des E<strong>in</strong>zelnen steigt, sich del<strong>in</strong>quent zu<br />

verhalten. Dieses Modell greift damit assoziationstheoretische Überlegungen auf: Fre<strong>und</strong>e<br />

dienen als Transmissionsagenturen, <strong>in</strong>dem sie e<strong>in</strong>erseits das Wissen um geeignete Orte für<br />

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