Nr. 3 (32) anul IX / iulie-septembrie 2011 - ROMDIDAC
Nr. 3 (32) anul IX / iulie-septembrie 2011 - ROMDIDAC
Nr. 3 (32) anul IX / iulie-septembrie 2011 - ROMDIDAC
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
Allmählich entfernten sich die Geräusche auf dem Korridor, das immer mehr<br />
abnehmende Streifen der Schritte unterbrach die Worte, dann hat sich eine<br />
Türgeöffnet und wieder geschlossen und alles ist wieder zur Stille zurückgekehrt.<br />
Einen Augenblick lang habe ich gemeint, es sei das Ehepaar Crew, das<br />
Giambolognas Skulpturen studierte und in Florenz schon zu den Veteranen<br />
gehörte, immer launig, begrüßten sie sich - als würden sie sich nicht kennen<br />
- und neckten sich, sooft sich dazu die Gelegenheit bot. Ich wartete darauf,<br />
daß sie vor meiner Türe, sei es nur für einen Augenblick, stehen bleiben,<br />
aus Versehen oder anderem Zufall klingelten, mich beim Familiennamen<br />
riefen oder einen anderen Namen aussprachen... Damit ich die interessierte<br />
Aufregung eines Menschen durchlebte, der vor bereitet ist, jemanden zu<br />
empfangen, im Warten einen Zustand zu empfinden, dem in jedem Fall ein<br />
Ende gesetzt wird. Ich wars gewohnt, das Warten hatte als zweite Natur die<br />
erste Unmit telbarkeit eingenommen. Ein Warten ohne Ende, außerhalb der<br />
Zeit, ganze Tage, Wochen, Jahre, ein Leben, ein ganzes Leben lang, so daß<br />
selbst die Bedeutung dieses Ziels sich von ihm gelöst hatte wie eine überreife<br />
Frucht, zergangen war. Eigentlich wagte ich auch nicht mehr, als was ich an<br />
der äußersten Grenze meines Wunsches noch verfolgte. Keine Erwartung,<br />
wie damals, als B., den ich zwei Nächte lang beherbergte, nachdem er sich<br />
zu Fuß über die ungarische Grenze nach Rumänien gestohlen hatte, mit dem<br />
Auftrag, eine neue Gruppe von (potentiellen) Regierungsopfern durch dieselbe<br />
geheime Schleuse in den Westen zu begleiten, eine ziemlich alltägliche Gestalt,<br />
mit eng angekämmtem und vor Brillantine-glänzendem Haar und einem<br />
vogelähnlichen Profil — aber wohl der einzige Mensch, der die Fähigkeit<br />
besaß, während er schlief, seine Augen zu öffnen, und, ohne dadurch seinen<br />
Schlaf zu trüben, sie kreisen zu lassen, womit er sich versicherte, daß ihn keine<br />
Gefahr bedrohte, und sie wieder zu schließen — B. hatte mir versprochen,<br />
daß er mich in den nächsten „Transport“ einfügen würde, und mir auf einem<br />
Papierflecken sogar den bestimmten Tag und die Stunde bezeichnet. Ich habe<br />
ihn mit fieberhaftem Herzen erwartet - meine Tante lebte ja noch, und mein<br />
Roman war noch nicht abgeschlossen - aber er ist zu dem von ihm angegebenen<br />
Zeitpunkt nicht erschienen, auch nicht in den folgenden Tagen, auch<br />
nicht in den darauf folgenden Wochen, während derer ich den Blick auf das<br />
Fenster geheftet hielt, das sich auf einen Stamm mit wildem Weinlaub öffnete<br />
(die großen Blätter begannen sich zu röten, es war schon spät im Herbst). Die<br />
Lösung habe ich erst nach Jahren erhal ten, als ich nackt neben dem Leib<br />
der Malerin L. ruhte und gerade über ihre Brüste nachdachte und sie mir mit<br />
stark moldauischem Akzent bekannte, daß sie aus „Foltişeni“ sei. Also habe<br />
ich sie gefragt, ob sie nicht den B. kenne, und da hat sie mir erzählt, wie er<br />
auf der Grenze erschossen wurde im Herbst ‘49 — genau dann, als er mir<br />
versprochen hatte, mir die Türen zu einem anderen Leben zu öffnen, und als<br />
ich, alle Segel gehißt, das Zeichen zum Beginn dieses Daseins erwartete.<br />
Ich habe gewartet, ich und die in meinem Umkreis, und auch entferntere<br />
Leute, Scharen von Menschen mit gebeugten Köpfen, Tage und Wochen<br />
und Jahre. Anfangs darauf, „daß es anders wird”, dann, als alles erstarrt war,<br />
als das Andere eine unselige Illusion wurde, darauf, zu flüchten, drüben „zu<br />
bleiben” und so ein anderer zu werden. Man wußte, daß es nicht möglich<br />
war, diesen Hof von Erinnerungen oder von Bedauertem hinter sich herzuschleppen.<br />
„Drüben bleiben” ohne dem ich der Vergangenheit noch ähnlich<br />
zu sehen, sondern jemandem, mir selber, fremd, aber glücklich und ein klein<br />
Ex Ponto nr. 3, <strong>2011</strong><br />
77