Titel und Vorspann-1 - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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ein Rückfall fesselte ihn, der nur noch 51 kg wog, ans Bett. 1215 Ende Januar 1945 wurde<br />
Völker nach Wurzen ins Lazarett verlegt.<br />
Völker geriet später in amerikanische Kriegsgefangenschaft <strong>und</strong> verbrachte ca. ein viertel<br />
Jahr in dem provisorischen Kriegsgefangenenlager nahe der Stadt Bad Kreuznach. Dass<br />
dieser schmächtige Mann, der sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht von der<br />
Lungenentzündung erholt haben konnte, dort überlebte, grenzt an ein W<strong>und</strong>er. Die<br />
Strapazen des Lagers widerspiegelt sein wenig später entstandenes Selbstporträt „Aus<br />
Kreuznach zurück“ 1216 . Die Bleistiftzeichnung von 1945 zeigt den immer schon schmalen<br />
Maler mit stark eingefallenen Wangen, tiefen Falten zwischen der Nase <strong>und</strong> dem<br />
zusammengekniffenen M<strong>und</strong>, stark gelichtetem wirrem Haar. Lediglich die beredten<br />
dunklen Augen lassen den Völker, den man von anderen Selbstporträts selbstbewusst<br />
<strong>und</strong> energisch kannte, erkennen. Ungewöhnlich im Vergleich mit anderen Selbstporträts<br />
ist die frontale Haltung.<br />
In Bad Kreuznach entstanden, auf den Rückseiten von Zigarettenpackungen <strong>und</strong> den<br />
Seiten eines Gedichtbandes, zahlreiche kleinere Zeichnungen zum Lagerleben. Sie<br />
zeigen die Verhältnisse im provisorisch eingerichteten Gefangenenlager, in dem mehrere<br />
tausende Deutsche lebten. Völker skizzierte was er sah: das Lager mit den Toren <strong>und</strong><br />
Zäunen, die spitzen Zelte in der leicht hügeligen Landschaft, die Soldaten, die in der Kälte<br />
in Erdlöchern kauerten, die Männer beim Essen, bei ihren Gesprächen <strong>und</strong> auf der<br />
Latrine. Porträts <strong>und</strong> Figurenskizzen im Lager zeigen die Menschen häufig in einer<br />
ähnlichen Körperhaltung. In sich zusammengesunken, frierend, grübelnd <strong>und</strong> zugleich<br />
fragend. Es sind Blätter ohne Hoffnung, die skizzierten Notizen des dort selbst ums<br />
Überleben kämpfenden Künstlers.<br />
Später waren einige der Skizzen die Vorlage für Radierungen <strong>und</strong> mehrere größere<br />
Arbeiten, mit denen er sich das Erlebnis von der Seele zu malen versuchte. Eine bleierne<br />
dunkle blau-grau-grüne Farbigkeit liegt über dem Bild „Kriegsgefangener“ (Abb. 120), zu<br />
dem die lockere Malweise des Künstlers in Kontrast steht. Völker gelang mit dieser<br />
Gewandfigur wieder, wie Jahrzehnte zuvor erstmals in Schmirma, eine vor allem durch<br />
den Gestus erreichte Allgemeingültigkeit der Aussage. Der frierende erschöpfte Mensch,<br />
der den sinnlosen Kampf verloren hat <strong>und</strong> der nicht weiß, wie es weitergehen wird. Der<br />
Mensch in einem stummen Schrei der Einsamkeit <strong>und</strong> Verzweiflung. Die Figur erinnert in<br />
ihrer ruhigen Kompaktheit an die Plastiken Ernst Barlachs, so z.B. „Mutter Erde“ 1217 von<br />
1921, aber auch wieder an Gewandfiguren Giottos.<br />
1215 StA Ce NL KV, n.inv., Brief vom 14.1.1945.<br />
1216 Nicht im WV enthalten. Im Besitz der Stiftung Moritzburg <strong>Halle</strong>.<br />
1217 Güstrow, Gertrudenfriedhof, Grabmal Biesel. Vgl. BARLACH 1985, S. 97.