04.12.2012 Aufrufe

Titel und Vorspann-1 - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Titel und Vorspann-1 - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Titel und Vorspann-1 - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

198<br />

ein Rückfall fesselte ihn, der nur noch 51 kg wog, ans Bett. 1215 Ende Januar 1945 wurde<br />

Völker nach Wurzen ins Lazarett verlegt.<br />

Völker geriet später in amerikanische Kriegsgefangenschaft <strong>und</strong> verbrachte ca. ein viertel<br />

Jahr in dem provisorischen Kriegsgefangenenlager nahe der Stadt Bad Kreuznach. Dass<br />

dieser schmächtige Mann, der sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht von der<br />

Lungenentzündung erholt haben konnte, dort überlebte, grenzt an ein W<strong>und</strong>er. Die<br />

Strapazen des Lagers widerspiegelt sein wenig später entstandenes Selbstporträt „Aus<br />

Kreuznach zurück“ 1216 . Die Bleistiftzeichnung von 1945 zeigt den immer schon schmalen<br />

Maler mit stark eingefallenen Wangen, tiefen Falten zwischen der Nase <strong>und</strong> dem<br />

zusammengekniffenen M<strong>und</strong>, stark gelichtetem wirrem Haar. Lediglich die beredten<br />

dunklen Augen lassen den Völker, den man von anderen Selbstporträts selbstbewusst<br />

<strong>und</strong> energisch kannte, erkennen. Ungewöhnlich im Vergleich mit anderen Selbstporträts<br />

ist die frontale Haltung.<br />

In Bad Kreuznach entstanden, auf den Rückseiten von Zigarettenpackungen <strong>und</strong> den<br />

Seiten eines Gedichtbandes, zahlreiche kleinere Zeichnungen zum Lagerleben. Sie<br />

zeigen die Verhältnisse im provisorisch eingerichteten Gefangenenlager, in dem mehrere<br />

tausende Deutsche lebten. Völker skizzierte was er sah: das Lager mit den Toren <strong>und</strong><br />

Zäunen, die spitzen Zelte in der leicht hügeligen Landschaft, die Soldaten, die in der Kälte<br />

in Erdlöchern kauerten, die Männer beim Essen, bei ihren Gesprächen <strong>und</strong> auf der<br />

Latrine. Porträts <strong>und</strong> Figurenskizzen im Lager zeigen die Menschen häufig in einer<br />

ähnlichen Körperhaltung. In sich zusammengesunken, frierend, grübelnd <strong>und</strong> zugleich<br />

fragend. Es sind Blätter ohne Hoffnung, die skizzierten Notizen des dort selbst ums<br />

Überleben kämpfenden Künstlers.<br />

Später waren einige der Skizzen die Vorlage für Radierungen <strong>und</strong> mehrere größere<br />

Arbeiten, mit denen er sich das Erlebnis von der Seele zu malen versuchte. Eine bleierne<br />

dunkle blau-grau-grüne Farbigkeit liegt über dem Bild „Kriegsgefangener“ (Abb. 120), zu<br />

dem die lockere Malweise des Künstlers in Kontrast steht. Völker gelang mit dieser<br />

Gewandfigur wieder, wie Jahrzehnte zuvor erstmals in Schmirma, eine vor allem durch<br />

den Gestus erreichte Allgemeingültigkeit der Aussage. Der frierende erschöpfte Mensch,<br />

der den sinnlosen Kampf verloren hat <strong>und</strong> der nicht weiß, wie es weitergehen wird. Der<br />

Mensch in einem stummen Schrei der Einsamkeit <strong>und</strong> Verzweiflung. Die Figur erinnert in<br />

ihrer ruhigen Kompaktheit an die Plastiken Ernst Barlachs, so z.B. „Mutter Erde“ 1217 von<br />

1921, aber auch wieder an Gewandfiguren Giottos.<br />

1215 StA Ce NL KV, n.inv., Brief vom 14.1.1945.<br />

1216 Nicht im WV enthalten. Im Besitz der Stiftung Moritzburg <strong>Halle</strong>.<br />

1217 Güstrow, Gertrudenfriedhof, Grabmal Biesel. Vgl. BARLACH 1985, S. 97.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!