Titel und Vorspann-1 - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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Arbeiten ist es vor allem der seelische Zustand, der durch den Wechsel von kristallinen<br />
Strukturen <strong>und</strong> schwingenden Formen in seiner unmittelbaren Dynamik erlebbar wird. Der<br />
Geburt seines Sohnes Horst am 23.8.1919 widmete Karl Völker neben dem<br />
gleichnamigen Gemälde einen Holzschnitt. Der Mann reicht der vom Schmerz<br />
gezeichneten, erschöpften Frau das friedlich schlummernde Kind, wobei er durch seine<br />
ausholende Armbewegung jegliche Störung von außen abwehrt <strong>und</strong> damit gleichzeitig<br />
seine Familie behütend umfasst.<br />
Völkers erste Bildfolge „Schicksale“ ist eine beeindruckende Reflexion des<br />
Zeitgeschehens zwischen 1914 <strong>und</strong> 1919. 300 Zu diesem Zyklus gehören fünf Arbeiten mit<br />
den <strong>Titel</strong>n: „Der Krieg“, „Beweinung Christi“, „Die Not“, „Der Rufer“, „Dem Morgenrot<br />
entgegen“. 301 Die ekstatischen tiefdunklen Tuschpinselzeichnungen (Abb. 25) sind<br />
geprägt durch das Aufeinanderprallen unterschiedlich gerichteter Bewegungen <strong>und</strong> durch<br />
den Gegensatz einzelner raumfüllender Figuren zu kleinen vielfigurigen Massenszenen.<br />
Den „Krieg“ stellt er als übermächtige Figur mit weitem Mantel <strong>und</strong> einer Krone auf dem<br />
Totenschädel dar, der ein ihm ausgeliefertes Menschenheer gleichsam überflutet. „Die<br />
Beweinung“, eine an das Bild „Pietà“ erinnernde Figurengruppe vor einem Totenfeld, steht<br />
symbolisch für das Wehklagen aller Mütter, die ihre Söhne in Krieg <strong>und</strong> Revolution<br />
verloren haben. „Die Not“ wälzt sich gleich einer riesigen Welle über die vor ihr fliehenden<br />
Menschen. Das Blatt erinnert an die Not während der Kriegsjahre <strong>und</strong> nahm die in den<br />
Folgejahren auftretenden schlimmen Hungersnöte in Russland <strong>und</strong> in Deutschland<br />
vorweg. „Der Rufer“ mit geballter Faust <strong>und</strong> Hand auf dem Herz tritt als Prophet für eine<br />
neue bessere Welt auf. Die unter wehenden Fahnen ziehenden Menschenmassen<br />
werden „Dem Morgenrot entgegen“ durch eine schwebende weibliche Figur mit<br />
Flammenhaupt begleitet. Die großen bewegenden Gesten der Völkerschen Figuren<br />
stehen ganz für das Empfinden der damaligen Zeit. Die pathetische Darstellung der<br />
Gefühle glich dabei der wortgewaltigen, an Gleichnissen reichen Lyrik <strong>und</strong> Prosa jener<br />
Jahre, deren Spektrum mit den Namen Else Lasker-Schüler <strong>und</strong> Johannes R. Becher hier<br />
lediglich angedeutet werden kann. Im Nachlass Karl Völkers befanden sich zwei Bücher<br />
von Lasker-Schüler mit Gedichten <strong>und</strong> Balladen, erschienen 1920.<br />
Die zeitgenössische Kritik sah Karl Völker als Mittelpunkt der Hallischen Künstlergruppe.<br />
Kurt Gerstenberg hob seine dekorative Begabung hervor, die sich gern in schwingend<br />
bewegten Kurven ergeht“ 302 . Eckart von Sydow beschrieb ihn in der Kunstchronik als<br />
Künstler, der mit seinen „schönheitliche(n) Bilder(n) .. nach warmen Tönen <strong>und</strong> inniger<br />
300 HZ, Nr. 611 vom 9.12.1919.<br />
301 Die Nummern des WV sind in der Anlage unter dem <strong>Titel</strong> ‚Schicksale’ zu finden.<br />
302 CICERONE 1919, H. 11, S. 816.