Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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198 Kausalität und <strong>Freiheit</strong> als kosmologisches Problem<br />
»Naturhandlung«.2o In den »Prolegomena« spricht er von <strong>der</strong><br />
unaufhörlichen Handlung <strong>der</strong> Materie 21 und ferner: jede Naturursache<br />
»muß angefangen haben zu handeln«.22 In <strong>der</strong> zweiten<br />
Analogie <strong>der</strong> »Kritik <strong>der</strong> reinen Vernunft« wird nun auch<br />
<strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Handlung näher bestimmt: »Handlung bedeutet<br />
schon das Verhältnis des Subjekts <strong>der</strong> Kausalität zur Wirkung«.23<br />
Handlung ist nicht einfach ein Vorkommnis, son<strong>der</strong>n<br />
ein Vorgang, <strong>der</strong> in sich eine Begebenheit hat, welche Begebenheit<br />
zum Geschehen gehört. 24 >Subjekt< bedeutet hier aber<br />
nicht etwa >IchSelbstPersonHandlung<<br />
und vordem >Kraft< sind deshalb, wie Kant in <strong>der</strong> Vorrede zu<br />
den »Prolegomena« sagt, »Folgebegriffe ... <strong>der</strong> Verknüpfung<br />
von Ursache und Wirkung «.25<br />
Es bedarf jetzt keiner weitläufigen Erörterung mehr, um einsehen<br />
zu lassen, von welcher Tragweite das rechte Verständnis<br />
des kantischen Begriffes <strong>der</strong> Handlung für die Bearbeitung des<br />
<strong>Freiheit</strong>sproblems ist. Denn wenn eine »freie Tat« als »ursprüngliche<br />
Handlung«26 angesprochen wird, so rückt sie damit<br />
in den Horizont des allgemeinen Begriffes von Wirken und Ursachesein,<br />
die primär durch Naturkausalität bestimmt sind.<br />
Handeln <strong>der</strong> Materie ist nicht ursprüngliches Wirken. Handeln<br />
<strong>der</strong> sittlichen Person ist ursprüngliches Wirken, d. h. das<br />
nicht erst aus einem Ursprung herkommt, son<strong>der</strong>n selbst ein<br />
>Ursprung< ist. So zeigt sich vom Begriff <strong>der</strong> Handlung und seiner<br />
weiten Bedeutung her das Hineinspielen des allgemeinen<br />
20 Kant, Kr. d. r. V., A 547, B 575.<br />
21 Kant, Prolegomena, § 53, S. 112 (IV, 344) Anm.<br />
22 a.a.O., S. 112 (IV, 343).<br />
23 Kant, Kr. d. r. V., A 205, B 250.<br />
24 Vgl. oben, S. 174 ff.<br />
25 Kant, Prolegomena. Vorrede, S. 4 (V, 258).<br />
26 Kant, Kr. d. r. V., A 544, B 572.<br />
§ 20. Zwei Arten <strong>der</strong> Kausalität 199<br />
Begriffes <strong>der</strong> Kausalität in die Bestimmung <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>. Wir<br />
fassen so immer deutlicher den allgemeinen ontologischen H 0-<br />
rizont, in dem für Kant das <strong>Freiheit</strong>sproblem steht, sofern eben<br />
<strong>Freiheit</strong> eine Art von Kausalität ist.<br />
Auf Grund dieser Erörterung des Begriffes <strong>der</strong> Handlung<br />
gewinnen wir noch eine weitere und letzte Kennzeichnung dieses<br />
Horizontes, d. h. desjenigen Geschehens, das die allgemeinen<br />
Charaktere des Geschehens überhaupt hergibt, für welche<br />
allgemeine Charakteristik das »Handeln <strong>der</strong> Materie« maßgebend<br />
ist und bleibt. Wir sahen bereits beim Übergang von <strong>der</strong><br />
ersten Analogie zur zweiten Analogie, wie dort auf Grund <strong>der</strong><br />
Bestimmung <strong>der</strong> Beharrlichkeit als des eigentlichen Charakters<br />
des Gegenstandes <strong>der</strong> Erfahrung das <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> zugehörigen,<br />
möglichen Bewegung als Verän<strong>der</strong>ung umgrenzt wurde. Zum<br />
Abschluß <strong>der</strong> Erörterung <strong>der</strong> zweiten Analogie wird nun die<br />
Verän<strong>der</strong>ung selbst in ihrem <strong>Wesen</strong> noch näher dahin bestimmt,<br />
daß gezeigt wird: Die Möglichkeit <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung gründet<br />
in <strong>der</strong> Kontinuität <strong>der</strong> Kausalität <strong>der</strong> Handlung. Das neue<br />
Moment, das auftaucht, ist die Kontinuität - Stetigkeit. Dieses<br />
Strukturmoment war schon immer mitgemeint, aber bisher<br />
nicht eigens als solches herausgehoben. Das Gesetz <strong>der</strong> Kontinuität<br />
aller Verän<strong>der</strong>ung gründet im <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> Zeit (Innerzeitigkeit),<br />
daß sie nicht aus Teilen besteht, die je die kleinsten<br />
sind. Je<strong>der</strong> Übergang von einem Zustand zum an<strong>der</strong>en, die in<br />
zwei Augenblicken sein mögen, geschieht immer noch in einer<br />
Zeit zwischen den Augenblicken und gehört demnach mit zur<br />
ganzen Zeit <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung, weshalb jede Ursache einer Verän<strong>der</strong>ung<br />
während <strong>der</strong> ganzen Zeit dieses ihr Ursachesein bekundet.<br />
An<strong>der</strong>s gewendet: Die Handlung <strong>der</strong> Materie ist unaufhörlich.<br />
Es gibt kein plötzliches Geschehen als Aufbrechen<br />
aus einem vormaligen schlechthinnigen Nichts. Auch hier ist die<br />
Zeit <strong>der</strong> Leitfaden für die Bestimmung <strong>der</strong> Stetigkeit und zwar<br />
als die Naturzeit, Zeit <strong>der</strong> Zusammengehörigkeit von Vorhandenem.<br />
Wir haben jetzt Kants Auffassung vom <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> Kausali-