Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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110 Die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie und ihre Fraglichkeit<br />
den als Subjektivität. Mit dem letzteren Titel ist zwar im neuzeitlichen<br />
Sinne des Begriffes an das Ichliche gedacht. Aber Subjektivität<br />
ist hier nicht die Ichheit des unmittelbar bekannten<br />
empirischen Ich <strong>der</strong> einzelnen endlichen Personen, son<strong>der</strong>n das<br />
absolute Subjekt, das schlechthinnige Sichselbstbegreifen des<br />
Ganzen des Seienden, das an sich und für sich die ganze Mannigfaltigkeit<br />
des Seienden als solche begreift, d. h. alles An<strong>der</strong>ssein<br />
des Seienden von sich aus vermittelnd begreifen kann als<br />
Vermittlung des Sichan<strong>der</strong>swerdens. 2 »Daß das Wahre nur als<br />
System wirklich, o<strong>der</strong> daß die Substanz wesentlich Subjekt ist,<br />
ist in <strong>der</strong> Vorstellung ausgedrückt, welche das Absolute als Geist<br />
ausspricht, - <strong>der</strong> erhabenste Begriff, ... «3. »Das Geistige allein<br />
ist das Wirkliche.«4 Hegel will sagen: das eigentliche Seiende.<br />
Demnach muß das Sein dieses Seienden - Seiendes als Geist - zugleich<br />
Aufschluß geben, wie Sein überhaupt und eigentlich verstanden<br />
wird.<br />
Wie faßt nun Hegel das Sein des Seienden qua Geist, o<strong>der</strong> die<br />
Wirklichkeit dieses Wirklichen? »Der Geist ... ist ewig«5, die<br />
Seinsart des Geistes ist die Ewigkeit. »Die Ewigkeit wird nicht<br />
sein, noch war sie, son<strong>der</strong>n sie ist«6, »dasEwige [ist] ... absolute<br />
Gegenwart. «7 Diese Gegenwart ist nicht die des momentanen<br />
Jetzt, das alsbald verfließt und verflossen ist, auch nicht bloß die<br />
dauernde Gegenwart im gewöhnlichen Sinn des weiter fort<br />
Währenden, son<strong>der</strong>n jene Gegenwart, die bei sich selbst und<br />
durch sich selbst steht, in sich reflektierte Dauer; eine Anwesenheit<br />
von <strong>der</strong> höchsten Beständigkeit, die nur die Ichheit, das Beisichselbstsein,<br />
zu geben vennag.<br />
Wir entnehmen dieser knappen Erwähnung hegelscher Sätze<br />
ein Doppeltes: 1. Auch bei Hegel, <strong>der</strong> die Problematik <strong>der</strong><br />
2 Vgl. a.a.O., II, 15.<br />
a a.a.O., II, 19.<br />
4 Ebd.<br />
5 G. W. F. Hegel, Encyclopädie. WW (Verein von Freunden des Verewigten),<br />
Berlin 1842. Bd. VII, S. 54.<br />
6 a.a.O., S. 55.<br />
7 Ebd.<br />
§ 10. Die Wirklichkeit des Geistes bei Hegel 111<br />
abendländischen Metaphysik in eine neue Dimension hinaufhebt,<br />
indem er Sein als Substanz radikaler begreift - im Sinne<br />
des Subjekts -, auch hier und gerade hier in einem absoluten<br />
Sinne bedeutet Sein >beständige Anwesenheit< (absolute Gegenwart).<br />
2. Gerade darin, daß sich die Auslegung <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />
des Wirklichen ausspricht als Aufhebung <strong>der</strong> Auslegung des<br />
Seins qua Substanz, bekundet sich <strong>der</strong> bewußt festgehaltene innere<br />
Zusammenhang <strong>der</strong> hegeischen Metaphysik mit <strong>der</strong> antiken<br />
und ihrem Ansatz.<br />
Fassen wir die ganze Betrachtung über die Grundbedeutung<br />
von OUcrLU, Sein, zusammen, dann können wir erfahren, daß auch<br />
schon ein flüchtiger Blick in die Welt <strong>der</strong> Großen ein Faktum in<br />
seiner ganzen Einfachheit und Wucht vor uns stellt: Das Seinsverständnis<br />
hält sich nicht nur im alltäglichen Dasein des Menschen,<br />
nicht nur im Ansatz <strong>der</strong> antiken Metaphysik, son<strong>der</strong>n im<br />
ganzen Geschehen <strong>der</strong> abendländischen Metaphysik in <strong>der</strong> Richtung,<br />
daß Sein verstanden wird als Anwesenheit und Beständigkeit.<br />
Das Verständnis hat seine Klarheit in <strong>der</strong> Helle, die das<br />
unmittelbar und schon unausgesprochen vorausliegende Verstehen<br />
von Anwesenheit und Beständigkeit ausbreitet. Damit haben<br />
wir die Antwort gewonnen auf die Frage, als was Sein verstanden<br />
wird, dort nämlich, wo nach ihm die Frage ist. Gefragt<br />
wird eigentlich nach dem Sein des Seienden in <strong>der</strong> Leitfrage <strong>der</strong><br />
Metaphysik: tL tb ov. Diese Leitfrage galt es wirklich zu fragen.<br />
Wir versuchten es dadurch, daß wir ein doppeltes, in ihr selbst<br />
Fragwürdiges in die Frage stellten: 1. Wonach wird gefragt?<br />
(Sein). 2. Als was wird Sein verstanden? (beständige Anwesenheit).<br />
Es ergab sich bisher folgende Reihung <strong>der</strong> Fragen: tL tb ov,<br />
was ist das Seiende? Was ist das Seiende als solches? Was ist das<br />
Seiende hinsichtlich seines Seins? Was ist das Sein?1 Als was wird<br />
Sein überhaupt verstanden? So haben wir uns in den Fragegehalt<br />
<strong>der</strong> Leitfrage immer mehr eingegraben und dabei ursprünglichere<br />
Fragen gleichsam ausgegraben. All das sollte geschehen,<br />
um die Leitfrage wirklich zu fragen; und dieses wie<strong>der</strong>,