Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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102 Die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie und ihre Fraglichkeit<br />
fenbar ist, son<strong>der</strong>n weü das Einfache als solches überhaupt kein<br />
Zusammengehöriges zuläßt. Die Entborgenheit des Einfachen<br />
schließt die Möglichkeit <strong>der</strong> Unwahrheit schlechthin aus. Die<br />
Entborgenheit schlägt nicht nur nie um in Verstelltheit, son<strong>der</strong>n<br />
hat überhaupt keinen möglichen Bezug zu dieser. Diese Entborgenheit<br />
des Einfachen hat zu ihrem möglichen Gegensatz nur die<br />
einfache Unentborgenheit, die aber ihrem <strong>Wesen</strong> nach nie Verstelltheit,<br />
Unwahrheit sein kann. Die Entborgenheit des Einfachen<br />
als solchen ist daher die höchstmögliche Weise des Wahrseins,<br />
das eigentliche Wahrsein. Und was ist diese eigentliche<br />
Entborgenheit? Entborgenheitist Offenbarkeit von etwas <strong>der</strong>art,<br />
daß es an ihm selbst sich präsentieren kann. Die Entborgenheit<br />
des Einfachen ist einfach und schlechthin Anwesenheit desselben<br />
an ihm selbst. Diese Anwesenheit ist die unmittelbarste, es tritt<br />
nichts dazwischen und kann nichts dazwischen treten. Die unmittelbarste<br />
Anwesenheit ist ferner diejenige, die aller an<strong>der</strong>en<br />
Anwesenheit vorangeht, wenn überhaupt Anwesenheit ist, denn<br />
sie ist die höchste und vorgängigste. Dieses aber, ständige Anwesenheit<br />
rein unmittelbar von sich her, allein für sich und vor<br />
allem, diese ständigste und reinste Anwesenheit ist nichts an<strong>der</strong>es<br />
als das höchste und eigentlichste Sein. Wenn demnach die<br />
a.nAU das eigentlichste Seiende ausmachen, das Eigentlichste am<br />
Seienden sind, und wenn ihre Entborgenheit die höchste und<br />
eigentlichste ist, was sich eben zeigte, wenn ferner dieses eigentlichste<br />
Wahrsein nichts an<strong>der</strong>es besagt als schlechthin ständige<br />
Anwesenheit, dann ist das eigentliche Wahrseiende das eigentlichste<br />
Seiende: das UA'l]{}fS; GV ist das 'XuQLWtatOV Gv. So bleibt<br />
genauer zu zeigen, 1. daß die unAU für Aristoteles das Eigentlichste<br />
am Seienden ausmachen, 2. daß im <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> eigentlichsten<br />
Wahrheit nichts an<strong>der</strong>es liegt als schlechthin beständige<br />
Anwesenheit.<br />
Erinnern wir uns. Die Leitfrage des eigentlichen Philosophierens<br />
lautete: tL ta GV, was ist das Seiende? Es wird gefragt nach<br />
dem, was das Seiende als solches, was seine innere Möglichkeit<br />
ausmacht, d. h. von woher es als das, was es ist, möglich ist.<br />
.§ 9. Sein, Wahrheit, Anwesenheit 103<br />
Dieses >von woher< meint uQX~, Prinzip, Grund, ULtLUL. Nun sagt<br />
Aristoteles: llUAAOV uQxiJ ta unAovO'tEQOv 33 , das Einfachere, d. h.<br />
Ursprünglichere, ist mehr Prinzip. Je mehr wir zum Einfachen<br />
vordringen, umso mehr kommen wir in die Nähe <strong>der</strong> Prinzipien.<br />
Je ursprünglicher eine Erkenntnis ist, je ursprünglicher<br />
die Entborgenheit des Entborgenen, umso unAovO'tEQUL ut ULtLUL<br />
'XaL uQXaL34 Die Frage nach dem Seienden als solchem ist aber<br />
die erste Erkenntnis, die Erkenntnis in erster Linie, daher die<br />
einfachste, eben nach dem, was dem Seienden als solchem zugrunde<br />
liegt. Und was ist das? Was ist das, was überhaupt zum<br />
Seienden als solchem gehört? Das Sein selbst, UUtO ta GV, das<br />
Seiende an ihm selbst rein hinsichtlich seines Seins genommen.<br />
Sein ist dasjenige, was nicht zuweilen zum Seienden gehört, zuweilen<br />
nicht, son<strong>der</strong>n was schlechthin und ständig und vor allem<br />
an<strong>der</strong>en zum Seienden als solchem gehört. Dergleichen wie Sein<br />
überhaupt und Einfachheit, Einheit überhaupt können nicht<br />
mehr zerlegt werden. Es ist das Einfache schlechthin, und als<br />
dieses Einfachste ist es <strong>der</strong> erste und letzte Grund <strong>der</strong> Möglichkeit<br />
eines jeden faktischen und erdenklichen Seienden. Dieses<br />
Einfachste ist das Eigentlichste am Seienden.<br />
Was sagt nun Aristoteles über das, was am eigentlich Seienden,<br />
d. h. beständig Anwesenden, dessen Grund <strong>der</strong> Möglichkeit<br />
(Prinzip, uQX~) ausmacht? tas; tWV ud GvtOlV uQXaS; uvuy'XUiov<br />
EIVUL UA'l]{}Wtcnus;.35 In (3 10 werden die unAU am schärfsten gefaßt:<br />
EOtLV ÖnEQ ELVUL tt 'XUL EVEQYE[~.36 Diese Prinzipien des<br />
eigentlichen Seienden, d. h. das Sein selbst als solches, ist das<br />
wahrste, d. h. schlechthin in erster Linie, vor allem und für alles<br />
weitere Entborgene. Von unserer radikaleren Fassung des ganzen<br />
Problems her gesprochen muß das Sein überhaupt im vorhinein<br />
und ständig schlechthin entborgen sein, wenn überhaupt<br />
Seiendes entdeckbar und <strong>der</strong> Bestimmung zugänglich werden<br />
33 Arist., Met. K 1, 1059 b 35.<br />
34 Vgl. a.a.O., E 1, 1025 b ff.<br />
35 a.a.O., Cl 1, 993 b 28 f.<br />
36 a.a.O., e 10, 1051 b 30 f.