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Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe

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280 Der zweite Weg zur <strong>Freiheit</strong> im kantischen System<br />

wollen, ist das angebliche Leere, im Grunde aber ist es das einzig<br />

Konkrete und Konkreteste an <strong>der</strong> Gesetzlichkeit des sittlichen<br />

HandeIns. Dieses angeblich leere Gesetz ist gerade dadurch<br />

Grundgesetz, daß, wenn es das Handeln wirklich bestimmt,<br />

dieses auch schon je im Augenblick und für diesen weiß,<br />

was es, d. h. primär immer, wie es handeln soll. Die Sittlichkeit<br />

des Handelns besteht nicht darin, daß ich einen sogenannten<br />

Wert verwirkliche, son<strong>der</strong>n daß ich wirklich will, d. h. mich<br />

entscheide, in <strong>der</strong> Entschiedenheit will, d. h. die Verantwortung<br />

auf mich nehme und in dieser übernahme existent werde.<br />

Allein, das <strong>Wesen</strong> des W ollens - dieses in seinem <strong>Wesen</strong> Wollen<br />

-, ist das nicht doch in <strong>der</strong> Tat etwas Leeres? Was ist das<br />

überhaupt für ein Wille, <strong>der</strong> rein sich selbst will? Ein solcher<br />

bestimmt sein eigenes Wollen unausbleiblich, d. h. notwendig.<br />

Ein solcher Wille kann gar nicht an<strong>der</strong>s als mit sich, seinem<br />

reinen <strong>Wesen</strong>, einstimmig, d. h. gut sein. Ein 'Wille aber, <strong>der</strong><br />

nicht an<strong>der</strong>s als gut sein kann, ist ein vollkommener guter<br />

Wille, o<strong>der</strong> wie Kant sagt, ein heiliger, göttlicher Wille.<br />

Wo nun aber <strong>der</strong> reine Wille nicht unausbleiblich seinem <strong>Wesen</strong><br />

folgt, son<strong>der</strong>n durch an<strong>der</strong>e Triebfe<strong>der</strong>n bestimmt werden<br />

kann und wird, wie bei einem endlichen <strong>Wesen</strong>, zu dessen Verfassung<br />

Sinnlichkeit gehört, da hat die reine Willensgesetzgebung<br />

den Charakter <strong>der</strong> Nötigung, des Gebotes, des Imperativs.<br />

Die Formel eines Gebots ist das »du sollst«. Dem heiligen<br />

Willen, d. h. dem notwendig guten Willen ist Gesetz das eigene<br />

Wollen, das einfache Wollen des Willens. Dem zufällig guten<br />

Willen ist Gesetz das Sollen des reinen Wollens. Gesollt ist das<br />

reine Wollen, d. h. ein solches, das nicht mehr gewollt ist in<br />

Absicht auf etwas an<strong>der</strong>es, was erst durch den Willen erreicht<br />

werden könnte. Das Gesetz des Willens, d. h. das >du sollst<<br />

spricht also nicht in <strong>der</strong> Form: du sollst, nämlich wenn du das<br />

und das erreichen willst, also nicht etwa: du sollst die Wahrheit<br />

sagen, wenn du in <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> Gesellschaft geachtet<br />

sein willst, son<strong>der</strong>n das Gesetz des Willens spricht: du sollst<br />

einfach so handeln, bedingungslos, ohne wenn und aber. Nun<br />

§ 27. Die Wirklichkeit <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Freiheit</strong> 281<br />

heißt in <strong>der</strong> Logik ein Satz in <strong>der</strong> Form: wenn a ist, dann ist<br />

b, ein Wennsatz, ein hypothetischer (ilJ1:6{h,O'L~, Voraussetzung);<br />

dagegen ein Satz in <strong>der</strong> Form: a ist, ein kategorischer. Entsprechend<br />

gibt es ein >du sollstdu sollst, wenn ... du sollst< aber, das nur das Sollen<br />

des reinen Wollens for<strong>der</strong>t, ist ein Imperativ, <strong>der</strong> kategorisch<br />

genannt werden kann. Also ist das Grundgesetz eines endlichen<br />

reinen Willens, d. h. einer reinen praktischen Vernunft ein kategorischer<br />

Imperativ. Wie lautet dieser?, so fragen wir jetzt<br />

ganz unwillkürlich. Doch wir dürfen jetzt so noch gar nicht<br />

fragen. Warum nicht? Besinnen wir uns erneut auf unsere Aufgabe<br />

und das, was wir bisher in ihrem Dienst geleistet haben.<br />

Es gilt, die These zu verstehen 23 : Die objektive Realität <strong>der</strong><br />

<strong>Freiheit</strong> läßt sich nur durch praktische Gesetze <strong>der</strong> reinen Vernunft<br />

dartun. Aber das Grundgesetz <strong>der</strong> reinen praktischen<br />

Vernunft haben wir jetzt doch eben gefunden und damit die<br />

Basis erreicht, von <strong>der</strong> aus wir die Tatsächlichkeit <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong><br />

nach Kant allein dartun können.<br />

Haben wir wirklich das Grundgesetz <strong>der</strong> reinen praktischen<br />

Vernunft gewonnen? Können wir es überhaupt gewonnen haben?<br />

Wie sind wir bisher vorgegangen? Wir haben erörtert, was<br />

zur Idee eines reinen Willens überhaupt gehört, was reine<br />

praktische Vernunft überhaupt ist. Wir haben ferner erörtert ,<br />

wie das Gesetz eines reinen Willens sein muß, sofern dieser als<br />

endlicher zugleich durch Sinnlichkeit bestimmt ist. Wir haben<br />

gesehen, daß das Gesetz ein kategorischer Imperativ sein<br />

müßte. Allein, wir haben noch nicht dargetan, daß es ein solches<br />

Gesetz vom Charakter des kategorischen Imperativs tatsächlich<br />

gibt. Wir haben nicht einmal gezeigt, daß endliche,<br />

reine praktische Vernunft tatsächlich existiert.<br />

2~ Verstehen heißt hier: 1. sich herstellen, was sie meint und fordeü.<br />

2. dIesp For<strong>der</strong>ung zu eIfüllen.

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