268 Der zweite Weg zur <strong>Freiheit</strong> im kantischen System reich an >Umkippungen
270 Der zweite Weg zur <strong>Freiheit</strong> im kantischen System fahrung unter den vorhandenen Naturdingen. I-Iieraus wird ersichtlich: <strong>Freiheit</strong> kann sehr wohl eine Tatsache sein und braucht doch nicht ein Erfahrungsbegriff zu werden. Die beiden Aussagen: <strong>Freiheit</strong> ist Tatsache - <strong>Freiheit</strong> ist kein Erfahrungsbegriff, schließen sich nicht aus. Allerdings bleibt bisher noch unbestimmt, wie nun diese nicht erfahrungsmäßig ausweisbare Tatsächlichkeit (Wirklichkeit) verstanden werden soll, die <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> nach Kant zukommt, zumal Kant an<strong>der</strong>erseits auch wie<strong>der</strong> davon spricht, daß die Idee <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> sich in <strong>der</strong> Erfahrung dartun läßt. Dem neuen Begriff von Tatsächlichkeit entspricht dann auch ein neuer Begriff von Erfahrung. Nun könnte man dem ganzen Problem eine Wendung geben. die zugleich zu einer einfachen Lösung führt. Man könnte darauf hinweisen, daß Kant ja nicht sagt: Die <strong>Freiheit</strong> ist eine Tatsache, son<strong>der</strong>n: »Die Idee <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>« ist eine Tatsache. Das heißt aber doch, es ist Tatsache, daß wir die Idee <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> haben, daß in unserem Vorstellen als einem Geschehenszusammenhang seelischer Akte auch <strong>der</strong> Akt des VorsteIlens von <strong>Freiheit</strong> vorkommt, tatsächlich ist, was aber doch gar nichts besagt über die Tatsächlichkeit des in diesem tatsächlichen Vorstellen Vorgestellten. Das Vorkommnis des VorsteIlens und Denkens von praktischer <strong>Freiheit</strong> läßt sich durch psychologische Erfahrung je<strong>der</strong>zeit dartun. Eine solche Interpretation Kants wäre jedoch ganz irrig. Zwar sagt Kant: Die Idee <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> ist eine Tatsache, aber das heißt eben, daß das in dieser Idee begrifflich Vorgestellte, das damit gegenständlich Gemeinte, sich anschaulich als Wirkliches dartun läßt. Kant sagt ausdrücklich von <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>: »Die einzige unter allen Ideen <strong>der</strong> reinen Vernunft, <strong>der</strong>en Gegenstand Tatsache ist, und unter die scibilia mit gerechnet werden muß. «8 Das Problem <strong>der</strong> wirklichen <strong>Freiheit</strong> ist also <strong>der</strong> Nachweis ihrer Wirklichkeit. Allein, das besagt etwas an<strong>der</strong>es als nur einen in <strong>der</strong> Erfahrung antreffbaren Fall wirklichen Freiseins 8 a.a.O., S. 357 (V, 454). Unterschied von opinabile, scibile, mere credibile. V gl. oben S. 268. § 27. Die Wirklichkeit <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Freiheit</strong> 271 ausfindig zu machen. Es besagt, die Art <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> aufzuweisen und <strong>der</strong> zugehörigen anschaulichen Ausweisung. <strong>Freiheit</strong> ist Tatsache, d. h. die Tatsächlichkeit dieser Tatsache ist gerade das entscheidende Problem. Wenn Kant sagt, daß wir die <strong>Freiheit</strong> »als etwas Wirkliches nicht einmal in uns selbst und in <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> Natur beweisen«9 können, dann heißt das nur, daß sie nicht erfahrbar ist wie ein vorhandenes Naturding. Dessen Realität ist allemal eine objektive, d. h. sein Wasgehalt ist vorfindlich in den wirklichen Objekten <strong>der</strong> zeitlich-räumlichen Erfahrung. Wenn <strong>Freiheit</strong> nichts <strong>der</strong>gleichen ist, aber doch Tatsache, dann heißt dies, daß die Realität <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>, d. h. das, als was sie wesensmäßig vorgestellt werden muß, in an<strong>der</strong>er Weise, nicht durch Naturdingerfahrung, anschaulich darstellbar ist. Die Realität <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> for<strong>der</strong>t eine an<strong>der</strong>e Art <strong>der</strong> Wirklichkeit, als sie die Naturobjekte zeigen, sie ist keine objektive Realität. O<strong>der</strong> falls man Wirklichkeit, wie Kant das auch hier tut, weiter faßt als objektive Wirklichkeit, dann ist die objektive Realität <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> hinsichtlich ihrer Objektivität unterschieden gegenüber <strong>der</strong> Objektivität <strong>der</strong> Naturdinge. Die Tatsächlichkeit, die <strong>der</strong> Realität <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> entspricht, ist die <strong>der</strong> Praxis. Im praktischen, willentlichen Handeln ist das, was wir mit <strong>Freiheit</strong> meinen, ihre Realität, erfahrbar. Die <strong>Freiheit</strong> hat praktische Realität bzw. ihre objektive Realität ist hinsichtlich ihrer Objektivität praktisch. Jetzt verstehen wir den Satz Kants: »unter den Tatsachen« findet sich auch »die Idee <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>, <strong>der</strong>en Realität, als einer beson<strong>der</strong>en Art von Kausalität ... sich durch praktische Gesetze <strong>der</strong> reinen Vernunft, und, diesen gemäß, in wirklichen Handlungen, mithin in <strong>der</strong> Erfahrung, dartun läßt.«lo Hierin haben wir zugleich eine Anweisung, in welcher Richtung das Problem <strong>der</strong> wirklichen <strong>Freiheit</strong>, d. h. ihrer Wirklichkeit, angesetzt werden muß, wohin wir uns wenden müssen, Um den zweiten Weg einschlagen zu können. Die Realität <strong>der</strong> 9 Kant, Grundlegung zur Metaphysik <strong>der</strong> Sitten. S. 77 (IV, 448) 10 Kant, Kr. d. U, § 91, S. 358 (V, 457).