Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
282 Der zweite Weg zur <strong>Freiheit</strong> im kantischen System<br />
d) Der Kategorische Imperativ.<br />
Zur Frage seiner Wirklichkeit und >Allgemeingültigkeit<<br />
Man wird nach all dem Vorausgegangenen sagen müssen: Gewiß,<br />
diesen Nachweis, daß endliche reine praktische Vernunft<br />
existiert, haben wir allerdings nicht ausdrücklich geführt. Denn<br />
das ist völlig überflüssig - <strong>der</strong> Mensch >ist< ja ein endliches vernünftiges<br />
Lebewesen; ob das einzige dieser Art, wissen wir<br />
nicht. Ob es verschiedene Arten endlicher Vernunftwesen gibt<br />
o<strong>der</strong> nicht, fällt hier nicht ins Gewicht. Genug, eine Art, die<br />
Menschen, existieren faktisch. O<strong>der</strong> soll auch das erst noch unter<br />
Beweis gestellt werden? Man sieht gar nicht ein, wie wir<br />
Menschen einen tatsächlichen Beweis dafür liefern sollen, daß<br />
wir tatsächlich vorhanden sind. Die For<strong>der</strong>ung eines solchen<br />
Beweises ist wi<strong>der</strong>sinnig. Gewiß, aber folgt daraus, daß wir<br />
existieren o<strong>der</strong> auch nur, daß es absolut selbstverständlich ist,<br />
daß wir existieren? Doch nehmen wir dies einmal an, folgt daraus<br />
die Existenz einer reinen praktischen Vernunft? Das ist<br />
fraglich. Wir wissen nicht nur nicht, ob deshalb, weil Menschen<br />
vorhanden sind, auch ein reiner Wille tatsächlich ist, wir wissen<br />
vor allem das zunächst weit <strong>Wesen</strong>tlichere nicht, was das heißen<br />
soll: ein reiner Wille ist tatsächlich existent. Denn am Ende<br />
ist die Tatsächlichkeit eines reinen Willens, das Existieren im<br />
reinen Wollen und als reines Wollen etwas total an<strong>der</strong>es als das<br />
bloße Vorhandensein eines Weltwesens, genannt Mensch. Demgemäß<br />
ist es auch um die Tatsächlichkeit des Grundgesetzes <strong>der</strong><br />
reinen praktischen Vernunft, um die Wirklichkeit eines kategorischen<br />
Imperativs ganz eigentümlich bestellt.<br />
Am Beweis des Faktums einer reinen praktischen Vernunft<br />
hängt die Möglichkeit des Beweises <strong>der</strong> Tatsächlichkeit <strong>der</strong><br />
praktischen <strong>Freiheit</strong>. Die <strong>Freiheit</strong> »offenbaret sich durchs moralische<br />
Gesetz«.24 Dieses muß daher selbst zuerst als wirkliches<br />
offenbar sein. Wenn sich aus seiner Wirklichkeit die Tatsäch-<br />
24 Karrt, Kr. d. pr. V., S. 4 (V, 5).<br />
§ 27. Die Wirklichkeit <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Freiheit</strong> 283<br />
lichkeit <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> ergibt, dann ist zugleich mit <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />
<strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> über <strong>der</strong>en Möglichkeit entschieden. Was<br />
wirklich ist, muß möglich sein. Sofern die aus <strong>der</strong> Tatsächlichkeit<br />
des moralischen Gesetzes zu erweisende Wirklichkeit <strong>der</strong><br />
<strong>Freiheit</strong> eine eigentümliche ist, muß es auch die zugehörige<br />
Möglichkeit sein. Mit Bezug auf den ersten Weg heißt das, die<br />
Möglichkeit <strong>der</strong> praktischen <strong>Freiheit</strong> als solcher deckt sich nicht<br />
ohne weiteres mit <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> transzendentalen <strong>Freiheit</strong>.<br />
So verschärft sich uns zusehends das spezifische Problem<br />
des zweiten Weges. Mit <strong>der</strong> bisher vollzogenen Konstruktion<br />
<strong>der</strong> Idee eines reinen Willens, eines vollkommenen, notwendigen<br />
und eines zufällig reinen Willens, mit <strong>der</strong> Konstruktion <strong>der</strong><br />
diesen zugehörigen Art <strong>der</strong> Gesetzlichkeit (Kategorischer Imperativ),<br />
stehen wir immer noch nicht bei <strong>der</strong> zu erweisenden<br />
Tatsächlichkeit einer reinen praktischen Vernunft. Wir wissen<br />
nur, mit Bezug worauf wir die Tatsächlichkeit beweisen sollen<br />
und daß diese eben eine eigentümliche ist, nicht zusammenfällt<br />
mit dem Vorhandensein <strong>der</strong> Menschen. Welcher Art ist sie<br />
selbst? Wie soll aber die spezifische Tatsächlichkeit des reinen<br />
Willens, <strong>der</strong> reinen Vernunft als praktisch erwiesen werden?<br />
Bedürfen wir nach all dem Gesagten nicht zuerst einer hinreichend<br />
weitgehenden begrifflichen Umgrenzung des <strong>Wesen</strong>s dieser<br />
eigentümlichen Tatsächlichkeit des reinen Willens? O<strong>der</strong> ist<br />
es nicht vielmehr das nächste und allein Fruchtbare, einfach den<br />
Beweis zu versuchen, daß im Menschen ein reiner Wille ein<br />
Faktum ist, und die Frage, was das <strong>Wesen</strong> dieses Faktums sei,<br />
d. h. die Faktizität des Menschen als existieren<strong>der</strong> Person, als<br />
eine spätere Angelegenheit zu verschieben?<br />
Allerdings, es ist, um die reine praktische Vernunft als Faktum<br />
zu erweisen, nicht unbedingt notwendig, einen ausgeformten<br />
und allseitig begründeten Begriff von <strong>der</strong> Faktizität dieses<br />
Faktums und <strong>der</strong> Tatsächlichkeit dieser Tatsache zu haben.<br />
An<strong>der</strong>erseits ist es gar nicht möglich, auch nur den Versuch zu<br />
einem Beweis zu unternehmen, daß <strong>der</strong> reine Wille im Menschen<br />
ein Faktum ist, ohne im vorhinein vorbegrifflich das We-