Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
222 Kausalität und <strong>Freiheit</strong> als kosmologisches Problem<br />
sen selbst schlechthin anfängt. Für sie gibt es daher nichts, von<br />
woher sie ferner noch bestimmbar wäre, etwa gar nach beständigen<br />
Gesetzen. Dieses Ursachesein selbst als geschehende<br />
Handlung ist ein Seiendes. Wenn für sie aber keine Gesetzlichkeit<br />
besteht, diese aber zum <strong>Wesen</strong> und den Möglichkeiten <strong>der</strong><br />
Erscheinungen, des Vorhandenen, gehört, dann ist in <strong>der</strong> transzendentalen<br />
<strong>Freiheit</strong> ein Ursachesein gedacht, was überhaupt<br />
kein Vorhandenes sein kann, »ein leeres Gedankending«.17<br />
Also gibt es, da transzendentale <strong>Freiheit</strong> dem Kausalgesetz als<br />
Gesetz schon entgegen ist, nur Natur. Wenn <strong>Freiheit</strong> in die<br />
Kausalität des Weltlaufs einträte, dann käme in diesen nicht<br />
eine an<strong>der</strong>e Gesetzlichkeit, son<strong>der</strong>n Gesetzlosigkeit. Natur, zu<br />
<strong>der</strong>en <strong>Wesen</strong> Gesetzmäßigkeit gehört, wäre damit überhaupt<br />
aufgehoben. O<strong>der</strong> aber, wenn <strong>Freiheit</strong> eine Art von Gesetzlichkeit<br />
wäre, dann wäre sie eben nichts an<strong>der</strong>es als Natur. Also<br />
gibt es keine <strong>Freiheit</strong>. Alles, was geschieht, ist bestimmt durch<br />
das Eigen- und Allvermögen <strong>der</strong> Natur.<br />
Aufgrund <strong>der</strong> Wahrheit <strong>der</strong> Antithesis ist allerdings <strong>der</strong> Erkenntnis<br />
eine ständige Last aufgeladen, nämlich den Anfang<br />
immer höher hinauf zu suchen. Aber zugleich ist das Blendwerk<br />
einer <strong>Freiheit</strong> beseitigt und die Erkenntnis ist für die Last<br />
schadlos gehalten durch die Wahrung <strong>der</strong> durchgängigen und<br />
gesetzmäßigen Einheit <strong>der</strong> Erfahrung. Die <strong>Freiheit</strong> dagegen ist<br />
zwar Befreiung vom Zwange, aber auch vom Leitfaden aller<br />
Regeln, weil mit ihr als einem schlechthinnigen Anfang, <strong>der</strong><br />
nichts Voriges vor sich hat, <strong>der</strong> Leitfaden <strong>der</strong> Regel <strong>der</strong> Bestimmung<br />
des Geschehens, die Anweisung zum bestimmenden<br />
Rückgang zu Vorigem, abreißt.<br />
In <strong>der</strong> Anmerkung zur Antithesis zeigt Kant, wie ein Verteidiger<br />
<strong>der</strong> Allvermögenheit <strong>der</strong> Natur gegen die Lehre von<br />
<strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> verteidigen würde. Da die Einheit <strong>der</strong> Erfahrung<br />
je<strong>der</strong>zeit die Beharrlichkeit <strong>der</strong> Substanz notwendig macht,<br />
d. h. daß Substanzen je<strong>der</strong>zeit in <strong>der</strong> Welt gewesen sind, so hat<br />
17 a.a.O., A 447, B 475.<br />
§ 23. Die zwei Arten <strong>der</strong> Kausalität und die Antithetik 223<br />
es auch keine Schwierigkeit anzunehmen, daß <strong>der</strong> Wechsel je<strong>der</strong>zeit<br />
gewesen sei, daß es mithin keinen ersten Anfang gebe.<br />
Gewiß, die Möglichkeit einer solchen unendlichen Abstammung<br />
läßt sich nicht begreiflich machen. Solche Unbegreiflichkeit<br />
aber ist kein Beweisgrund, »diese Naturrätsel« wegzuwerfen.<br />
Wollte man ihr nachgeben, dann müßten wir auch die» Verän<strong>der</strong>ung«<br />
verwerfen, da auch <strong>der</strong>en Möglichkeit »anstößig«18<br />
sein muß. »Denn, wenn ihr nicht durch Erfahrung fändet, daß<br />
sie wirklich ist, so würdet ihr niemals apriori ersinnen können,<br />
wie eine solche unaufhörliche Folge von Sein und Nichtsein<br />
möglich sei. «19<br />
c) Die Auszeichnung <strong>der</strong> kosmologischen Ideen<br />
in <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> eigentlichen Metaphysik<br />
und das Interesse <strong>der</strong> Vernunft an ihrer Auflösung<br />
So sind Thesis und Antithesis gleich notwendig, gleich wahr<br />
und gleich einsichtig beweisbar. Ihr Wi<strong>der</strong>streit ist eine innere<br />
zur Vernunft selbst gehörige» Veruneinigung«.2o Diese kann<br />
aus <strong>der</strong> Menschennatur nicht ausgerissen und beseitigt werden.<br />
Es bleibt nur, eindringlicher nach ihrem Ursprung zu fragen.<br />
Bevor Kant dieser Frage nachgeht und den Weg einer Auflösung,<br />
nicht Beseitigung dieser Antinomie findet, legt er sich<br />
die Frage vor: Wenn wir dieses unaufhörlich schwankende<br />
Spiel des Wi<strong>der</strong>streits <strong>der</strong> reinen Vernunft vor uns haben, stehen<br />
wir dann ganz unbeteiligt dabei, o<strong>der</strong> möchten wir uns<br />
doch, wenn wir unser Interesse fragen, am liebsten auf eine<br />
Seite schlagen und auf welche ?21 Unser Interesse - damit meint<br />
Kant nicht beliebige Bedürfnisse und Wünsche, son<strong>der</strong>n dasjenige,<br />
woran <strong>der</strong> Mensch als Mensch ein Interesse nimmt, was<br />
ihn in seinem Menschsein als Mensch angeht. In den reinen<br />
18 a.a.O., A. 451, B 479.<br />
19 Ebd.<br />
20 a.a.O., A 464, B 492.<br />
21 V gl. a.a.O., A 465, B 493.