104 Die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie und ihre Fraglichkeit soll. Ob wir das Sein eigens erfassen und befragen und bestimmen o<strong>der</strong> nicht, vor all dem ist es schon immer und ständig enthüllt. Es steht als solches in <strong>der</strong> Entborgenheit. Was heißt das, das Einfache ist das Wahrste, Entborgenste? Was heißt im Grunde Entborgenheit? Damit kommen wir zur Erörterung <strong>der</strong> zweiten These, daß im <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> eigentlichen Wahrheit nichts an<strong>der</strong>es liegt als beständige schlechthinnige Anwesenheit. y) Die Entborgenheit des Einfachen als reine, schlechthinnige Anwesenheit an ihm selbst Aristoteles sagt im selben Kapitel: tu tfl
106 Die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie und ihre Fraglichkeit richtig, falsch aufgefaßt vom Redaktor, o<strong>der</strong> aber es handelt sich auch bei ÖLuvmu um etwas an<strong>der</strong>es. Dieses uAlliteuHv fällt nicht aus, weil es Eigenschaft eines subjektiven Zustandes ist, son<strong>der</strong>n weil hier ein Wahrsein und Verstelltsein vorliegt, das in sich umschlagen kann. Es ist mit dem eigentlichen Seienden gar nicht verhaftet. Gerade wenn diese Entborgenheit geschieht, kann und muß sie umschlagen. Dagegen ist jene uA~iteLu <strong>der</strong> vOllm~ mit ihr selbst schlechthin, wenn sie ist. Der Ausschaltungsgrund ist nicht die Subjektzugehörigkeit, son<strong>der</strong>n die nicht vom Seienden selbst her bestimmte Seinsart des betreffenden UAlliteueLv. Die Wahrheit <strong>der</strong> ÖLuvmu offenbart grundsätzlich nicht, auch wo sie als uAlliteuew das Seiende meint, etwas schlechthin Eigenständiges am eigentlichen Seienden selbst: uAlliteuew OUX EV Toi~ lt(luYI-LUOLV(EV ÖLUVO[~). Das uAllitE~ geht aber doch EltL Tiöv lt(luYI-LUTWV (ltE(lL Ta UltAii ... ouö' EV ÖLUVO(~).41 Wir deuteten aber schon an, daß in <strong>der</strong> Kopula immer zugleich das Wahrsein mit enthalten ist. Wie ist dieser Zusammenhang von Sein und Wahrsein möglich? Jetzt erst haben wir einen Hinweis auf die Dimension des Problems gefunden. Die spätere Verunstaltung des Problems: Subjekt - Objekt, Akt und Sein und all <strong>der</strong>gleichen bleibt grundsätzlich unzureichend. e) Die Frage nach dem Wahrsein des eigentlichen Seienden als höchste und tiefste Frage <strong>der</strong> aristotelischen Auslegung des Seins. Das Kapitel 8 10 als Schlußstein des Buches 8 und <strong>der</strong> aristotelischen Metaphysik überhaupt Wenn man diesen thematischen Gehalt des Kapitels 810 durch eine eindringliche und an dem antiken Seins- und Wahrheitsverständnis von vornherein und ständig orientierte Interpretation ans Licht gebracht hat, dann wird man das XU(lLOOTULOV als Charakter des uAllitE~ OV nicht mehr befremdlich finden. Man müßte 41 Vgl. a.a.ü., 1027 b 25 ff. § 9. Sein, Wahrheit, Anwesenheit 107 sich umgekehrt wun<strong>der</strong>n, wenn das XU(lL0:J1:a1:0V nicht dastände. Zugleich dürfte deutlich geworden sein, daß die Art, wie Aristoteles hier das Problem des Wahrseins aufrollt, mit Logik und Erkenntnistheorie nichts zu tun hat. Die Frage nach dem Wahrsein des Seienden als Seienden entfaltet sich als die Grundfrage nach dem eigentlichen Sein des Seienden selbst. Als diese Frage steht sie im innersten Zusammenhang mit dem, was im ganzen Buch 8, in den vorausgehenden Kapiteln behandelt wird. Nur noch ein Hinweis auf den positiv eindeutigen Zusammenhang von 8 10 mit 8, um nicht die Meinung aufkommen zu lassen, als sei zwar 810 mit 8 nicht ganz zusammenhanglos, aber doch eben nicht eigentlich zusammengehörig. Im Buch 8 sind I\UVUI-U~ und EVE(lyeLu Thema, Möglichkeit und Wirklichkeit als Grundweisen des Seins. Es wird gezeigt, daß das eigentliche Sein die EVE(lynu ist. Dasjenige Seiende ist eigentlich Seiendes, was jede Möglichkeit, jedes erst noch Eintreffende und jedes Ausbleibende von sich aus ausschließt, überhaupt jede Möglichkeit des An<strong>der</strong>swerdens. Wir pflegen zu sagen, damit etwas wirklich soll sein können, muß es überhaupt möglich sein. Die Möglichkeit ist also das Erste und früher, vor <strong>der</strong> Wirklichkeit. Aristoteles behauptet dagegen: lt(lOTe(lOV EVE(lyeLu öuvul-Leoo~ Eonv. 42 Früher und ursprünglicher als die Möglichkeit ist die Wirklichkeit. Das ist freilich nur zu behaupten aus dem spezifisch antiken Ansatz des Seinsproblems und <strong>der</strong> antiken Grundauffassung <strong>der</strong> Wahrheit als Entborgenheit. Dies ist jetzt nicht zu erörtern. Nur das eine sei noch gesagt: Wir sehen in 810, daß dort ein Grundstück <strong>der</strong> ganzen thematischen Behandlung erörtert wird, die wachsende Ausschaltung <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Unwahrheit von <strong>der</strong> Wahrheit, um so diese im eigentlichsten Sinne zu fassen. In 810 konzentriert sich die radikale und radikalste Fassung des Grundproblems von 8. Mit einem Wort: Das Kapitel 8 10 ist kein nicht dazugehöriges Anhängsel, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> innerlich notwendige Schlußstein des ganzen Buches 8, das selbst das zentralste <strong>der</strong> ganzen »Metaphysik« ausmacht. 42 a.a.ü., 8 8, 1049 b 5.