Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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142 Kausalität und <strong>Freiheit</strong> als kosmologisches Problem<br />
professor, den man zufällig trifft o<strong>der</strong> den man als Kollegen<br />
hat.<br />
Wo liegt <strong>der</strong> Grund für diese katastrophale Situation, die<br />
dadurch nichts an ihrer Furchtbarkeit verliert, daß alle diese<br />
Ratlosen am an<strong>der</strong>en Tag sicher und ruhig mit aller Exaktheit<br />
ihre Arbeit fortsetzen? Der Grund liegt nicht darin, daß wir<br />
nicht imstande sind, das <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> Geschichtswissenschaften<br />
zu definieren, son<strong>der</strong>n darin, daß das geschichtliche Geschehen<br />
als solches, trotz <strong>der</strong> Vielzahl <strong>der</strong> Begebenheiten, keine einheitliche<br />
Kraft <strong>der</strong> Bekundung hat und daher in seinem wesentlichen<br />
Charakter verborgen bleibt und höchstens durch fadenscheinige<br />
Theorien über Geschichtswissenschaft noch mehr verdeckt<br />
und mißdeutet wird. Das geschichtliche Geschehen als<br />
solches kann sich nicht bekunden, wenn es nicht auf ein Erfahren<br />
stößt, das in sich die Helligkeit mitbringt, mit <strong>der</strong> die Geschichtlichkeit<br />
<strong>der</strong> Geschichte durchleuchtet werden kann. Hierbei<br />
muß sich entscheiden, ob Geschichte nur und zuerst und<br />
überhaupt ein Geschiebe von ursächlich verknüpften Tatsachen<br />
und Einflüssen ist o<strong>der</strong> ob die Kausalität des geschichtlichen<br />
Geschehens ganz an<strong>der</strong>s begriffen werden muß.<br />
Sie sehen, daß das Problem <strong>der</strong> Kausalität keine abgelegene,<br />
irgendwie in <strong>der</strong> Philosophie ausgedachte Frage ist. Es ist die<br />
innerste Not unseres Verhältnisses zum Geschichtlichen überhaupt<br />
und demzufolge auch <strong>der</strong> Wissenschaft von <strong>der</strong> Geschichte<br />
(Philologie im weiteren Sinne). Aber das gleiche gilt<br />
von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Richtung wissenschaftlichen Fragens, <strong>der</strong> Wissenschaft<br />
von <strong>der</strong> Natur, sei es <strong>der</strong> leblosen (Physik, Chemie)<br />
o<strong>der</strong> sei es von <strong>der</strong> lebendigen Natur (Biologie). Man geht so<br />
weit zu sagen, daß auf Grund <strong>der</strong> neuen physikalischen Theorien,<br />
<strong>der</strong> elektrischen Theorie <strong>der</strong> Materie (Atombau), <strong>der</strong> Relativitätstheorie<br />
und <strong>der</strong> Quantentheorie, das bisher geltende<br />
Gesetz <strong>der</strong> Kausalität seine ausnahmslose Gültigkeit verloren<br />
habe. Darin kommt zunächst zum Ausdruck, daß die Auffassung<br />
des Vorgangscharakters <strong>der</strong> materiellen Vorgänge fraglich<br />
geworden ist. Es fehlt an <strong>der</strong> Möglichkeit, die Natur positiv<br />
§ 15. Vorbemerkung zum Problem <strong>der</strong> Kausalität 143<br />
neu zu begreifen und zu bestimmen, <strong>der</strong>art, daß die neuen Fragen<br />
und Erkenntnisse ihren echten Boden und die Begründung<br />
erhalten. Insgleichen ist es mit <strong>der</strong> Frage nach dem <strong>Wesen</strong> des<br />
Organismus, mit <strong>der</strong> Frage nach dem <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> Lebendigkeit<br />
des Lebendigen, nach <strong>der</strong> Grundverfassung <strong>der</strong> Seinsart des<br />
Seienden, von dem wir sagen, daß es ist, lebt und stirbt.<br />
Ich wie<strong>der</strong>hole. Kausalität ist kein abgezogener, freischweben<strong>der</strong><br />
Begriff, dem eine rechte Definition verschafft werden<br />
soll, son<strong>der</strong>n Ausdruck für die innerste Fragwürdigkeit <strong>der</strong><br />
Verfassung <strong>der</strong> leblosen und lebendigen Natur. Der Mensch<br />
selbst aber, inmitten <strong>der</strong> Natur und verhaftet dem Geschehen<br />
seiner Geschichte, wankt und sucht in dieser Fragwürdigkeit<br />
und Not. Und die Philosophie weiß zugleich um die Perspektive,<br />
in die das konkret verstandene Problem <strong>der</strong> Kausalität<br />
<strong>der</strong> Geschichte und <strong>der</strong> Natur hinweist. Aber gerade diese von<br />
allen Seiten sich auftürmende Ratlosigkeit, dieses, daß alles<br />
wankt und Brüchiges an den Tag kommt, das ist die rechte<br />
Zeit <strong>der</strong> Philosophie. Es wäre naiv, auch nur einen Augenblick<br />
es an<strong>der</strong>s zu wünschen. Es wäre aber ebenso kurzsichtig zu<br />
meinen, diese Zeit mit Hilfe eines Systems <strong>der</strong> Philosophie retten<br />
zu wollen. Im Gegenteil, es geht allein darum, die wahre<br />
und echt erfahrene und erfahrbare Not zu erhalten. Es geht<br />
allein darum, darüber zu wachen, daß uns die anbrechende<br />
Fragwürdigkeit, die Vorläuferschaft für die Größe, nicht entrissen<br />
wird durch billige Antworten und Aberglauben.<br />
So wird es erst recht überflüssig, Ihnen noch weitläufig zu<br />
versichern, daß das Thema dieser <strong>Einleitung</strong> in die Philosophie<br />
zugleich hinauswächst und zurückgreift in die großen Richtungen<br />
des Forschens über Natur und Geschichte, in welchen Richtungen<br />
Sie durch die Zugehörigkeit zu einzelnen Fakultäten<br />
<strong>der</strong> Universität unmittelbar stehen. Das Philosophieren hier<br />
ist kein Nebenbei als Zuflucht für private Nöte und zur Erbauung,<br />
son<strong>der</strong>n es steht inmitten <strong>der</strong> Not <strong>der</strong> Arbeit, <strong>der</strong> Sie<br />
sich verschrieben haben o<strong>der</strong> verschrieben zu haben den Anspruch<br />
machen, wenn Sie sich in diesem Raum bewegen.